Wie können wir Kinder/Jugendliche/junge Erwachsene dabei unterstützen, sich für das „Draußen“ zu öffnen?
Wie können wir sie unterstützen, mit ihrem „Drinnen“ in Dialog zu treten? Wie können wir sie unterstützen, „dünnhäutig“ zu sein?
Anhand dieser Fragen wird ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen der Arbeit mit Kindern und jener mit Jugendlichen/jungen Erwachsenen sichtbar. Wie Sybille in ihrem Text schreibt, sind Kinder von Natur aus „dünnhäutig“. Es braucht nicht viel, um sie mit ihrer Um-Welt in Kontakt treten zu lassen, ihr „Drinnen“ mit dem „Draußen“ in Dialog treten zu lassen.
Wir können sie an starke Plätze begleiten. Wir können ihnen Vertrauen schenken, sie sich frei bewegen lassen, sie ihre Um-Welt selbstständig er-leben lassen. Wir können ihnen dabei eine sichere Basis bieten, zu der sie immer vertrauensvoll zurückkehren können und von der sie erwarten dürfen, dass sie zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird – um brenzlige Situationen lösen zu helfen, um Fragen zu beantworten, um Sicherheit und Bestätigung zu geben.
Außerdem können wir Tage draußen! mit Kindern durch eine gewisse „Dramaturgie“ – so nennen wir das in unseren Kursen – bereichern, ihnen einen Rahmen, eine Struktur geben. Wir können etwa einen ganzen Tag damit zubringen, uns auf eine Nacht im Freien vorzubereiten (was für die Kinder meistens darin besteht, sich den gewählten Platz spielend anzueignen). Dazu gehört natürlich das Etablieren einer Feuerstelle, das Aufbauen eines Lagers (z.B. einer Notfallplane für den Fall, dass es zu regnen beginnt), das Kochen, das Jausnen, die Teepause, …
Eine besondere Herausforderung – für Begleitende ebenso wie für Kinder – kann es sein, Zeit-Räume zu öffnen, die im Alltag selten betreten werden. Dämmerung und Nacht etwa. Ein stiller Laternenweg, der schweigend und bedächtig, alleine oder in kleinsten Gruppen (z.B. Elternteil plus Kind) beschritten wird, mit einem kleinen, gemeinsamen Ritual am Ende – ein Erlebnis, das das Potenzial hat, lange nachzuhallen. Oder ein Nachtgeländespiel. Und dann das Frühstück in der Morgendämmerung, mit klammen Fingern am wieder entfachten Feuer.
Bei der Arbeit mit Jugendlichen/jungen Erwachsenen kann die Sache schon ganz anders liegen.
Die Durchlässigkeit für einen Dialog von „Draußen“ nach „Drinnen“, von „Drinnen“ nach „Draußen“ ist in dieser Lebensphase oftmals eine so zutiefst persönliche Angelegenheit, dass der „Außenwelt“ sehr wenig davon mitgeteilt wird, wir wenig davon merken und junge Menschen auch sich selbst gegenüber diesen Dialog nur schwer zulassen können.
Dennoch denke ich, kommen auch hier zuallererst die bereits oben beschriebenen „Methoden“ zum Zug: starke Plätze, geschenktes Vertrauen, Dasein als sichere Basis beim Beschreiten neuer Räume. Und dann fordern Jugendliche/junge Erwachsene noch etwas: Sie fordern, gefordert zu werden. Fordernd kann es sein, einen Schritt über die gewohnten, körperlichen Grenzen hinauszugehen.
Fordernd kann es sein, den Dialog zwischen dem „Drinnen“ und „Draußen“ vor sich selbst zuzulassen, etwa in einem Solo, aber auch – über die gewohnten sozialen Grenzen hinausgehend – mit der „Außenwelt“ zu teilen, was man in diesem Dialog erfahren hat, wie man ihn erlebt hat. Fordernd kann es auch sein, sich auf ganz basale, kindliche Wahrnehmungsübungen einzulassen (oder wenigstens trotzdem mitzumachen) oder aber – wenn wir die Zeit haben– die Langeweile zu ertragen (was ja nicht weniger bedeutet, als sich selbst zu ertragen), einfach da zu sein, ohne ein lautes „Draußen“, das den Dialog, der da sein könnte, übertönt.
An manchen Abenden, wenn alle ihre Freunde nachhause gegangen waren, saß sie noch lange allein in dem großen, steinernen Rund des alten Theaters, über dem sich der sternenfunkelnde Himmel wölbte und lauschte einfach auf die große Stille. … Und es war ihr, als höre sie eine leise und doch gewaltige Musik, die ihr ganz seltsam zu Herzen ging. (aus: Momo, von Michael Ende)
Bei aller Methodenvielfalt sollten wir aber das Eine nicht vergessen oder übersehen:
Jede Methode ist nur so gut, wie sie in den Kontext passt. (Kontext verstehe ich hier im Sinne eines „Ökosystems“, das von unzähligen biotischen und abiotischen Faktoren gebildet und beeinflusst wird und daher schwer greif- bzw. beschreibbar ist). Bis zu einem gewissen Grad können wir den Kontext schaffen bzw. beeinflussen. Darüber hinaus gilt es aber, ihn zu „erspüren“, zu bewerten und ihm die Wahl der Methode anzupassen (auch wenn die Methode darin bestehen mag, keine Methode anzuwenden).
Im Folgenden möchte ich eine kleine, exemplarische Auswahl an Methoden vorstellen, die sich gut in die „Dramaturgie“ eines Tages draußen! einbetten lassen:
Laternenweg
Wir stellen/hängen Laternen (die im Idealfall vorher selbst gebastelt wurden) oder Ähnliches in eher großen als kleinen Abständen auf, aber immer so, dass man von einer Lichtquelle schon die nächste sehen kann, z.B. im Wald oder entlang eines gewundenen Pfades. Die Gruppe versammelt sich am „Eingang“ zum Laternenweg und wird zur Stille angehalten. Dann dürfen die Teilnehmer*innen einzeln oder in kleinsten Gruppen (z.B. Elternteil plus Kind) – je nach Kontext – den vorbereiteten Weg beschreiten und werden am Ende z.B. bei einem Lichterkreis empfangen. Sind alle wieder versammelt, kann ein gemeinsames Lied gesungen und gute Nacht gewünscht werden.
Es braucht jedenfalls eine Person, die am Eingang für Ruhe sorgt und die Teilnehmer*innen in genügend großen Abständen losschickt und eine Person, die sie am Ende empfängt. Bei anspruchsvolleren Wegen empfehlen sich zusätzliche Augen und Ohren am Weg.
Feuer
Natürlich muss ein Lagerfeuer mit dem/der jeweiligen Grundbesitzer*in abgesprochen und im Idealfall bei der Gemeinde angemeldet werden. Außerdem will der Platz mit Bedacht gewählt werden, bzw. wo es sich anbietet, können bereits bestehende Feuerstellen genutzt werden. Wird das Feuer über Nacht nicht gelöscht (um in der Früh die Glut nutzen zu können), muss es bewacht werden. Wenn Wind aufkommt, sollte jedenfalls gelöscht werden, besonders wenn Wald in der Nähe ist.
Solo
Die Teilnehmer*innen verbringen eine gewisse, vorher vereinbarte Zeit (5 Minuten bis …) an einem selbst gewählten, möglichst einsamen Platz im Gelände. Schweigend, mit einem bestimmten Thema zur Reflexion, das man mit auf den Weg gibt – zur persönlichen Nachbetrachtung einer Übung, eines Tages, … Die Eindrücke aus dem Solo können im Gesprächskreis, schriftlich, grafisch, … verarbeitet werden.
Mein Baum
Zweiergruppen. Einer Person werden die Augen verbunden. Die andere Person führt sie nach vorher besprochenen Wertschätzungs- und Vertrauensgrundsätzen auf verschlungenen Wegen zu einem Baum. Hier befühlt die geführte Person den Baum und seine direkte Umgebung und versucht, sich den Baum so einzuprägen. Anschließend wird sie zurück an den Ausgangspunkt geführt und versucht nun, ihren Baum mit offenen Augen wiederzufinden.
Rollentausch. Die Erlebnisse können in einer Reflexionsrunde besprochen werden.
Verstecken – Entdecken
Entlang einer gewissen Strecke im Gelände werden möglichst naturfarbene Gegenstände, die aber offensichtlich nicht in die Gegend gehören, verteilt, nicht absichtlich versteckt, nicht zu offensichtlich. Nun folgen die Teilnehmer*innen der Strecke (die z.B. durch ein am Boden aufgelegtes Seil markiert sein kann) möglichst einzeln und versuchen, die ausgelegten Gegenstände zu entdecken. Nicht einsammeln!! Dies kann in mehreren Runden geschehen – so schärfen sich Runde um Runde die Wahrnehmung und der Blick für das Besondere. Auch ein Perspektivenwechsel (z.B. auf die Knie gehen) bietet sich hier an und kann so manchem die Augen öffnen.
Abschließend möchte ich auf die oft übersehene und doch so wertvolle „Methode“ des Vorlesens oder Geschichtenerzählens aufmerksam machen (wo ich doch vorher aus „MOMO“ zitiert habe. Es passt übrigens ganz gut zu dem Thema „Drinnen und Draußen“, was es mit der seltsamen Musik auf sich hat, die MOMO da hört), die jede Unternehmung, die Groß und Klein miteinander gestalten nur bereichern kann, sofern der Stoff es in sich hat!
Michel Max Kalas ist freischaffender Biologe und Outdoor-Trainer. Er widmet sich im Besonderen der basalen Naturerfahrung und Naturvermittlung für (jüngere) Kinder und der ökologischen Bildung.
Comments are closed.