Im Zuge der Vorbereitung auf eine Ski- oder Freeridetour ist das Lesen des Lawinenlageberichts seit Jahren Standard und in der Planungsphase nicht mehr wegzudenken. Deshalb wollen wir die Möglichkeiten – aber auch Grenzen – dieser wertvollsten Informationsquelle etwas genauer unter die Lupe nehmen…

WER ERSTELLT DEN LAGEBERICHT?

Alleine die unterschiedlichen Bezeichnungen weisen schon darauf hin, dass die Erstellung des Lawinenlageberichts (1), Lawinenberichts, Lawinenreports bzw. Lawinenprognoseberichts in Österreich Ländersache (2) ist. Die Lawinenwarndienste, die im jeweiligen Bundesland meist der Abteilung für Katastrophenschutz oder Meteorologie unterstellt sind, haben neben der Lawinenwarnung noch die Aufgabe der Auswertung, Dokumentation und Archivierung des Lawinenwinters bzw. von Lawinenereignissen.

Ergebnis dieser Dokumentation ist der jährlich erscheinende, gemeinsame Saisonbericht der österreichischen Lawinenwarndienste (3) mit interessanten Analysen zum vergangenen Lawinenwinter. Außerdem betreuen sie Messstationen und üben beratende Tätigkeit, z.B. in der Ausbildung, aus und sind zudem mit der Erstellung von Gutachten betraut. Aktuell gibt es im Rahmen der IFALP (4) Bestrebungen, den Lawinenlagebericht international zu vereinheitlichen und vor allem grenzübergreifend zu erstellen. Ein sinnvolles, ambitioniertes Projekt, wenn wir uns die gegenwärtige Situation in Österreich vor Augen halten…

  • (1) Der einfacheren Verständlichkeit halber ist im folgenden Text immer von Lawinenlagebericht die Rede.
  • (2) Im Gegensatz zur Schweiz, wo der Lawinenlagebericht kantonübergreifend für das gesamte Staatsgebiet vom SLF (Schnee- und Lawinenforschungsinstitut) in Davos erstellt wird.
  • (3) Zu beziehen im ÖAV-Shop unter www.alpenverein.at/shop/
  • (4) IFALP: Initiative für eine alpenweite einheitliche Lawinenprognose, www.ifalp.org
  • (5) Web: lawinen.org: verlinkt auf die jeweiligen Warndienste der europäischen Länder; lawine.at: verlinkt auf die Warndienste Österreichs; alpenvereinaktiv.com: Tourenportal der Alpenvereine inkl. Lawinenlagebericht; slf.ch: bietetneben dem Schweizer Lagebericht wertvolle Informationen zum Thema Schnee und Lawine;  varsom.no LLB für Norwegen ; Apps: snowsafe: LLB für nahezu ganz Europa

WIE WIRD DER LAWINENLAGEBERICHT ERSTELLT?

Die Erstellung des LLBs erfolgt durch die Lawinenwarner*innen anhand eines dichten Netzes an Wetterdaten und Messstationen. Sie geben u. a. wichtige Aufschlüsse über Niederschlagsmengen, Windgeschwindigkeiten, Lufttemperatur und -feuchtigkeit. Außerdem machen sich die Lawinenwarner*innen über eine Vielzahl von Schneeprofilen und Erkundungsflügen selbst ein Bild im Gelände, ergänzt durch Informationen von Beobachtern und Beobachterinnen, die in den unterschiedlichsten Regionen unterwegs sind.

WANN ERSCHEINT DER LAWINENLAGEBERICHT?

Bekamen wir früher den LLB erst zum Frühstück serviert, bekommen wir nun seit ca. einem Jahr in jedem Bundesland die Lawinenprognose praktisch und rechtzeitig für die Tourenplanung zwischen 17.00 Uhr und 18.00 Uhr via Internet oder App (5) ins Haus.

In Ausnahmefällen – wenn z.B. über Nacht starke Schneefälle hinzukommen und die Lawinengefahr die Stufe „4“ oder „5“ erreicht, gibt es am Morgen gegen 8.00 Uhr ein Update der Prognose.

AUFBAU DES LAWINENLAGEBERICHTS

Der Lawinenlagebericht ist im Sinne einer Informationspyramide (Abbildung) aufgebaut und geht von der allgemeinen, leicht verständlichen und mit Piktogrammen dargestellten Information zu einer detaillierteren Beschreibung. Er informiert uns über die aktuellen Gefahrenstufen, die Lawinenprobleme (Was?) und die Gefahrenstellen (Wo?), an denen das Lawinenproblem am häufigsten anzutreffen ist. Zusätzlich finden wir im Begleittext noch wertvolle Informationen zum Schneedeckenaufbau und der Wetterentwicklung.

LLB Aufbau

DIE GEFAHRENSTUFE

Die komplexen Verhältnisse in der Schneedecke, die für a.) die Schneedeckenstabilität, b.) die Auslösewahrscheinlichkeit und Umfang der Gefahrenstellen, sowie c.) die Größe und Häufigkeit der zu erwartenden Lawinen verantwortlich sind, werden auf eine Zahl – die international vereinheitlichte Gefahrenstufe – reduziert.

Diese europäische Lawinengefahrenskala ist in fünf Stufen unterteilt. Je höher die Gefahrenstufe, desto a.) instabiler ist die Schneedecke, b.) desto mehr Gefahrenstellen sind vorhanden, c.) desto geringer ist die benötigte Zusatzbelastung für eine Lawinenauslösung und d.) desto häufiger sind größere Lawinen zu erwarten. Die Gefahrenstufe wird für eine Region von mindestens 100 km² erstellt.

Früher waren diese Regionen fix vorgegeben, was aber den Nachteil mit sich brachte, dass innerhalb der Region durchaus unterschiedliche Verhältnisse herrschten, dennoch aber nur eine Gefahrenstufe für diese Region ausgegeben werden konnte. Seit neuestem gibt es in einigen Ländern – z.B. im Euregio-LLB für Tirol, Südtirol, Trentino – dynamische Regionen, die auch Staatsgrenzen-überschreitend sein können.

So werden keine fixen Gebiete mehr mit einer Gefahrenstufe belegt, sondern Gebiete mit derselben Gefahrenstufe zusammengefasst. Besonders für die Planung ist die Gefahrenstufe wichtig. Im Vorfeld können wir schon eine gewisse Selektion vornehmen, welche Tour in Frage kommen könnte und welche Tour bei den herrschenden Verhältnissen eher zu meiden ist.

Grenzen der Gefahrenstufe

Im Gelände allerdings hat die Gefahrenstufe ihre Grenzen, da natürlich innerhalb einer Region mit derselben Stufe in einem Südhang komplett andere Bedingungen vorgefunden werden können als in einem Nordhang, bzw. ein Rücken andere Schneeverhältnisse aufweist als eine kammnahe Rinne.

Ein weiteres Problem der Gefahrenstufe ist, dass sich diese im Gelände kontinuierlich und nicht stufenartig ändert. So können z.B. ein 2er (A) und ein 3er (B) recht nahe beisammen-liegen, während es innerhalb der gleichen Gefahrenstufe aber durchaus erhebliche Unterschiede geben kann, je nachdem, ob sich der 3er eher beim 2er oder eher beim 4er (C) befindet (Abbildung).

Lawinengefahr Verlauf
Kontinuierlicher Verlauf der Gefahrenstufe (Quelle: „Lawinenkunde“ von S. Harvey, H. Rhyner & J.Schweizer, Bruckmann, 2014)

Leider gibt es auch keine einheitliche Definition, ob in einer Region jene Gefahrenstufe ausgegeben wird, die am höchsten ist oder jene, die flächenmäßig am weitesten verbreitet ist.

LAWINENPROBLEME – „WAS?“

Diesem Umstand Folge leistend gewinnen sowohl in der Lawinenwarnung als auch in unserer Tourenpraxis die sogenannten Lawinenprobleme immer mehr an Bedeutung. Sie beschreiben, wovon die Gefahr ausgeht und sind inzwischen auch international vereinheitlicht.

Da wir jeden Winter mit wiederkehrenden Wetterlagen mit ähnlichen Gefahrensituationen konfrontiert sind, haben sich fünf typische, wiedererkennbare Lawinenprobleme herauskristallisiert, die sich – über den Winter verteilt – wiederholen und die vorherrschende Situation am besten beschreiben.

Lawinenprobleme geben im Lawinenlagebericht einen ersten, groben Überblick über die aktuelle Gefahrensituation und weisen auf die möglichen Gefahrenquellen („Was?“) hin. Die einfache Struktur der fünf Lawinenprobleme hilft uns dabei, die komplexe Materie der Gefahrenerkennung besser zu begreifen und dabei den Fokus auf das Hauptproblem zu richten.

Je nach Situation können auch mehrere Probleme gemeinsam auftreten. Wenn wir wissen, wovon die Gefahr ausgeht, können wir sowohl in unserer Tourenplanung als auch draußen im Gelände viel besser darauf reagieren:

  • So wird ein Neuschneeproblem flächig verteilt sein
  • und ein Triebschneeproblem meistens unregelmäßig,
  • ein Nassschneeproblem wird sich auf Exposition, Höhenlage und Tageszeit beziehen,
  • während ein Altschneeproblem tageszeitunabhängig ist, sehr wohl aber mit Höhe und Exposition zusammenhängen wird.

GEFAHRENSTELLEN – „WO?“

Unter Gefahrenstellen verstehen wir jene Geländebereiche, die als besonders gefährdet gelten und in denen das oder die Lawinenproblem(e) am häufigsten vorkommen. So können die Lawinenprobleme auch räumlich eingegrenzt werden, indem die Piktogramme für Exposition und Höhenlage in den besonders gefährdeten Bereichen schwarz eingefärbt sind.

Weitere wertvolle Zusatzinformation über die Gefahrenstellen entnehmen wir dem Zusatztext der Beurteilung der Lawinengefahr.

Immer wiederkehrende Begriffe wie

  • Steilhänge“,
  • triebschneegefüllte Rinnen und Mulden
  • sowie „Kammlagen
  • und „Übergang von wenig zu viel Schnee

geben Auskunft darüber, wo Vorsicht geboten ist. Versorgt mit diesen wertvollen Zusatzinformationen können wir besonders im Gelände gezielt nach potenziellen Gefahren – Lawinenproblemen und Gefahrenstellen – Ausschau halten.

Nasschneeproblem
Ein Nassschneeproblem aufgrund von Regenfällen erwartet uns hingegen in allen Expositionen in Abhängigkeit der Höhe (unterhalb der Schneefallgrenze).

NOSW

 

ungebundener Pulverschnee
Bei lockerem, ungebundenem Pulverschnee ohne Windeinfluss ist die Lawinengefahr – sofern weiter unten kein Altschneeproblem schlummert – meist gering. Die Informationen über dieses etwaige, nicht offensichtliche und in der Schneedecke verborgene Altschneeproblem können wir uns aus dem aktuellen LLB holen. Oder wir verfolgen den LLB über die gesamte Saison und wissen über alte, noch bestehende Schwachschichten Bescheid.

 

 

 

Oberflächenreif
Herrlicher Reif an der Schneeoberfläche, aber wehe, wenn er bis zum nächsten Schneefall erhalten bleibt. Dann bildet er „die“ perfekte Schwachschicht. Auch diese Informationen bekommen wir aus dem LLB: „Vorsicht vor eingeschneitem Oberflächenreif, insbesondere in schattigen Steilhängen…“
Nasschneeproblem
Ein typisches Nassschneeproblem erwartet uns meist im Frühjahr im Tagesverlauf in sonnenexponierten Hängen.exposition süd

FAZIT

Die Qualität des LLBs in den Alpenländern entwickelt sich kontinuierlich weiter und so können wir heute mit einer äußerst guten Grundlage unsere Touren planen.

Besonders die Kombination aus Gefahrenstufe, Lawinenproblemen und Gefahrenstellen hilft uns dabei weiter. Kommt der Gefahrenstufe in der Planung Bedeutung zu, können wir mit dem Wissen um das Lawinenproblem und den Gefahrenstellen sowie der gezielten Suche danach im Gelände riskante Bereiche meiden.

Dennoch ist der Lawinenlagebericht „nur“ eine Prognose über die (vermutlich) herrschenden Verhältnisse.

Er kann – wie z.B. der Wetterbericht auch – insbesondere kleinräumig einmal genau stimmen, aber auch einmal mehr und einmal weniger danebenliegen. Deshalb ist es erstrebenswert, sich Erfahrung und lawinenkundliches Fachwissen anzueignen, um dem LLB nicht blind vertrauen zu müssen und in der Lage zu sein, im Gelände kritisch zu reflektieren und die Lawinensituation gegebenenfalls vor Ort neu einzuschätzen.LLB2

Alle Informationen, Videos und Publikationen zu SICHER AM BERG – SKITOUR findest du übrigens HIER.

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Gerhard Mössmer ist Berg- und Skiführer, Mitarbeiter in der Abteilung Bergsport und zuständig für Lehrschriften und Lehrteam.

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