Eva Schider ist mit der Alpenvereinsjugend groß geworden und arbeitet schon seit vielen Jahren im Sommer und im Winter für risk´n´fun und Junge Alpinisten. Nachfolgend gibt sie Einblick in ihre persönliche Toolbox.
Bei risk´n´fun gibt es die Methode des/der „gläsernen Bergführers/in“. Wenn wir bei einem Training mit der Gruppe unterwegs sind, sprechen wir all unsere Gedanken laut aus. Das Ziel davon ist es, dass die Teilnehmer*innen lernen, worauf man achten und woran man denken soll/kann. Das Gleiche will ich in dem Artikel versuchen. Ich denke laut nach und teile meine Gedanken gemeinsam mit meinen bunt gemischten Erfahrungen. Ohne Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit.
Das Begleiten von Menschen ist schön und anspruchsvoll zugleich. Wenn dann noch das Thema „Risiko“ dazukommt, kann es herausfordernd werden. Was also gilt es zu beachten, zu wissen, zu spüren, wenn man Heranwachsende und Erwachsene darin unterstützen will, sich im Risiko (bewusst) zu bewegen? Denn im Bergsport sind wir Menschen stets ein Stück weit in Gefahr und im Risiko. Welche Kompetenzen, welchen Rahmen und welche Informationen braucht es, um Menschen sich darin ausprobieren zu lassen?
Als Struktur, um über das Thema nachzudenken und es in Wirkfaktoren zu zerlegen, eignet sich das Dreieck mit den Punkten ICH – WIR – UMWELT, angelehnt an das Modell der themenzentrierten Interaktion. Bei risk´n´fun verwenden wir ICH – WIR – UMWELT auch oft und gerne zur Reflexion.
Das Wichtigste im Begleiten von Menschen ist, dass es einem selbst gut geht!
Die Grundlage und der Ausgangspunkt für meine Überlegungen ist das „ICH“. Zunächst stelle ich mir die Frage „Warum?“ und „Wozu?“ mache ich etwas überhaupt. Ich hinterfrage meine Haltung und Einstellung zum Thema Risiko. Wie ist meine Bewertung von Risiko? Finde ich es wichtig und gesund, Risiken einzugehen oder gefährlich? Denn, wenn ich innerlich jede Form von Risiko ablehne, fange ich möglicherweise an, Menschen, die Risiken eingehen (wollen), abzuwerten. Das erscheint mir nicht hilfreich zu sein in der Begleitung von Menschen. Welche Verhaltensweisen ich dazu selbst erlebt und damit eingeübt habe, hängt unter anderem mit meiner Sozialisation zusammen. Wie ist mein Umfeld mit Risiko umgegangen? Wie handle ich in solchen Situationen?
Wenn zum Beispiel ein Kind auf einen Baum klettert und dann gesagt bekommt: „Da musst du alleine wieder runterkommen“, dann muss/darf es zwangsläufig lernen, mit dieser Situation umzugehen. Selbstwirksamkeit kann erlebt werden und das eigene Einschätzungsvermögen wird geschult. Wenn ich Menschen in Risikosituationen begleite, mache ich mir immer wieder bewusst: Es bringt sie weiter, wenn ich ihnen die Chance dazu gebe, dass sie sich ausprobieren können und dabei lernen dürfen.
Dazu kommt, dass dieses automatische Handeln auch Auswirkungen darauf hat, wie es mir dabei geht. Habe ich Stress oder bin ich trotzdem entspannt? Denn das Wichtigste im Begleiten von Menschen ist, dass es einem selbst gut geht. Was nur funktioniert, wenn ich nicht ständig Angst um mich oder andere habe. Was ist für mich (noch) okay?
Wo ist die Grenze? Einerseits für das Risiko, dass ich für mich selbst eingehe, indem ich beispielsweise mal etwas ohne Seil klettern muss. Und andererseits für das Risiko, das die Gruppe eingeht, beispielsweise bei Lawinengefahr. Denn da muss die Gruppe ja mit meiner Risikobereitschaft und der Reflexion als Leiterin der Gruppe „leben“, weil die Letztentscheidung, das letzte Veto,bei mir liegt – in meiner Rolle als Bergführerin.
Es kann auch mal richtig knallen!
Die zweite Ecke des Dreiecks ist das „WIR“. Die Gruppe beziehungsweise die Person(en), mit denen ich unterwegs bin. Da ist zunächst möglicherweise meine Jugendleiterkolleg*in oder der/die zweite Tourenführer*in. Wie steht er/sie zum Thema „Risiko“? Wie geht er/sie damit um?
Und dann sind da noch die Teilnehmer*innen. Je nach Alter muss der Rahmen, in dem sie sich bewegen können, abgesteckt werden. Bin ich mit den risk´n´fun KIDS unterwegs, bewege ich mich mit ihnen mehr auf der Piste und fordere schneller und andere Besprechungsinhalte ein, als wenn ich bei einem risk´n´fun-Training mit Erwachsenen unterwegs bin.
Weiters spielt die Stimmung in der Gruppe, kombiniert mit den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und deren individuelle Risikobereitschaft eine ganz große Rolle. Es ist an mir, an den ersten beiden Tagen abzuchecken, was da so an Prozessen abläuft. Gibt’s welche, die sehr risikofreudig sind und die ich eher bremsen muss? Sind auch eher zurückhaltende Teilnehmer*innen dabei, die etwas mehr Motivation brauchen, um ein bisschen aus ihrer Komfortzone rauszukommen? Und wie homogen ist insgesamt die Gruppe? Denn da kann`s schon mal ziemlich knallen, wenn an einem guten Powdertag sehr unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und damit auch Geschwindigkeiten vorherrschen.
Dann wäre da noch die Kommunikation. Die kann einem zum Verhängnis werden – zu wenig, zu viel, nicht das, worum es geht – kann aber auch die Stimmung und damit so manchen Tag retten. Zum Beispiel: „Ich verstehe, dass ihr enttäuscht seid, dass wir den Hang nicht fahren können!“ vs. „Geh, jetzt tuts nicht so deppert“ oder gar nichts dazu zu sagen. Alle mitnehmen, zuhören und verstehen (wollen), sind da einfache und wichtige Zutaten zu gelingender und produktiver Kommunikation.
Der dritte Eckpunkt ist die Umwelt. In welcher Sportart bin ich unterwegs und wie hoch kann dementsprechend die potenzielle Höhe des „Schadens“ sein, falls etwas passiert? Was gibt es für Alternativen? Welche äußeren Einflüsse können auf uns wirken? Das sind einige Fragen, die ich mir dazu stelle. Im Winter beim Freeriden kann das potenzielle Schadensmaß, auch für mich persönlich, sehr hoch sein. Dazu kommt, dass die Einflüsse von außen sehr stark sind. Andere Freerider*innen, welche einem die „first line“ streitig machen oder zumindest einen Powderhang „zerfahren“, während man sich mit der Gruppe noch im Entscheidungsprozess befindet, können die Dynamik ganz schön aufschaukeln.
Das mache ich mir bewusst an solchen Tagen. Und bespreche das auch schon im Vorfeld mit der Gruppe. Wieder Kommunikation und Abstecken der Ziele. Worum geht es uns als Gruppe heute? Dazu kommt die Touren- und Tagesplanung. Je mehr Möglichkeiten ich im Kopf habe, je besser ich den Wetter- und Lawinenlagebericht kenne und je besser ich mich und meine Gruppe einschätzen kann, umso besser kann ich einen solchen potenziell risikoreichen Tag unter den großen Einflüssen der Umwelt gestalten und durch die Lernerfahrungen manövrieren. Immer innerhalb meiner eigenen Grenzen.
Für den Abschluss und als Zusammenfassung möchte ich risflecting® zitieren:
„Oberstes Ziel jeder Rausch- und Risikopädagogik muss es daher sein, Menschen Möglichkeiten in die Hand zu geben, das wilde Tier zu reiten. Denn nur wer die Balance hält zwischen Ekstase und Verzicht, Sicherheit und Gefahr, Chaos und Ordnung (…) kann das Abenteuer bestehen, das in jedem Risikoerlebnis auf uns wartet. Wer nun meint, das wilde Tier ließe sich durch Vernunft zähmen, irrt. Um das Rodeo bestreiten zu können, braucht es ein Netz von guten Freunden, das auffängt, Gespür für den eigenen Körper und Sensibilität für das Wohin, Wieviel und Wozu.“
Eva Schider ist freiberufliche Berg- und Skiführerin und macht für die Alpenvereinsjugend u.a. die Jungen Alpinisten Youngsters- und risk'n'fun-Kurse.
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