Was fasziniert uns so an den Bergen, an unberührten alpinen Tälern, an den kargen Landschaften im Hochgebirge? Diese eigentlich unwirtliche Welt, in der einst unberechenbare Wildbäche die Täler prägten und Almen und Weiden auf den Berghängen den Menschen als Lebensgrundlage dienten, wurde über die Jahrtausende gezähmt – und mit unendlich viel Arbeit zu dem, was wir heute unter dem Lebensraum Alpen verstehen: ein Wirtschaftsraum, nach wie vor geprägt von Landwirtschaft, ein Naturraum mit einer ungeheuer großen und gleichzeitig kleinräumigen Artenvielfalt und ein Erholungsraum, der das Bedürfnis der Menschen nach der Verbindung mit der Natur ebenso befriedigen soll wie ihre Lust nach Abenteuer, sportlichen Leistungen und Grenzerfahrungen. Es ist dieses Gefühl von Freiheit, welches mit einem tiefen Atemzug in einem aufsteigt.
Is the sky the limit?
Der „Fremdenverkehr“ wurde für viele Regionen in den Alpen zum wirtschaftlichen Zugpferd und gerade in abgelegenen Gebieten eine Chance auf eigenständigen Wohlstand. Bei der Erschließung der Alpen durch den Bau von Wegen und Schutzhütten waren auch die – oft städtisch geprägten – Alpenvereine nicht unbeteiligt: Wissenschaftliches Interesse, Pioniergeist, das Messen der eigenen Kräfte an den Naturgewalten und der Ruhm von Erstbesteigungen zogen die Menschen in und auf die Berge. Das hat sich bis heute wohl nur wenig verändert. Was sich aber verändert hat, ist die Position, welche die Alpenvereine in den Alpen und ihrer Entwicklung einnehmen, denn hier gilt nun: Der Ausbau der Alpen ist an seinen Grenzen angelangt! Die Auswirkungen so mancher Entwicklung zerstörte das, was ursprünglich der Reiz des Reiseziels war. Waghalsig spannen sich heute Seilbahnen von Gipfel zu Gipfel – ohne Frage technische Höchstleistungen – und sieht man sich Ausbau- und Erneuerungspläne großer Skigebiete an, muss man wohl glauben, als Maßstab wurde „the sky is the limit“ angesetzt. Landschaftsbild und der intrinsische Wert von Naturgütern haben hier wohl selten einen wichtigen Stellenwert.
Alternativen und wohin die Reise des Alpenraums gehen soll(te)
Es stellt sich die Frage: „Gibt es noch Orte, in denen das Bergsteigen ist wie früher, mit einer intakten Dorfkultur vor der Kulisse einer unverbauten Bergwelt?“ Die Frage mag ein romantisches Bild der Alpen und des Bergsteigens zeichnen, aber gekoppelt mit dem Leitbild, wie eine nachhaltige Zukunft der Alpen aussehen könnte, hat sie großes Potenzial. Das Leitbild, von dem die Rede ist, ist die Alpenkonvention, „mit der sich die Alpen auf der politischen Ebene als ein gemeinsamer Raum in Europa konstituieren“(1) und die als völkerrechtlicher Vertrag eine wünschenswerte Alpenentwicklung festschreibt. So sind in den einzelnen Protokollen (Raumplanung und nachhaltige Entwicklung, Berglandwirtschaft, Naturschutz und Landschaftspflege, Bergwald, Tourismus, Bodenschutz, Energie, Verkehr) konkrete Maßnahmen festgeschrieben und für die Vertragspartner, die Alpenanrainerstaaten, rechtlich bindend.
Und genau solche Orte zu finden, in denen „das Bergsteigen ist wie früher“ und die den Weg einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Alpenkonvention einschlagen wollten, war die ambitionierte Aufgabe, der sich Peter Haßlacher, damals Leiter der Abteilung Raumplanung und Naturschutz im ÖAV, und der Raumplaner Roland Kals ab 2005 stellten und damit den Grundstein für die Initiative „Bergsteigerdörfer“ legten. Die Stärke der Initiative: die bestehende alpin-touristische Infrastruktur zu nutzen und zu fördern, indem man das vorhandene, individuelle Angebot der einzelnen Partner über die Kanäle der Alpenvereine und deren enorme Reichweite bewirbt. Darüber hinaus ist das Ziel, die Kommunikation zwischen Gemeinden, Tourismusakteuren und den alpinen Vereinen zu stärken sowie die Vernetzung der Bergsteigerdörfer untereinander. Und auch eine Bewusstseinsbildung bei Bevölkerung und Gästen hinsichtlich der Rolle von Natur- und Kulturlandschaft, Tradition, Alpengeschichte sowie Arbeit der alpinen Vereine in diesen Gegenden ist ein wünschenswerter Nebeneffekt.
Mehr als nur Tourismus – mit Wertschätzung zur Wertschöpfung
2020 sind es 29 Bergsteigerdörfer in vier Alpenländern (Österreich, Deutschland, Italien, Slowenien), die dieser Alpenvereinsinitiative angehören. Neben dem vielfältigen Bergsportangebot setzen sich die Gemeinden, Tourismusverbände und Partnerbetriebe gemeinsam mit den Alpenvereinen bewusst für die Gestaltung eines nachhaltigen Bergtourismus ein, indem sie Angebote und Anreize für den Erhalt ihrer einzigartigen Landschaften, ihrer natürlichen und ihrer kulturellen Schätze schaffen. Stille Gipfel, gepflegte Landschaften wie Almen und Bergmähder, gelebte Traditionen oder vor Ort produzierte Lebensmittel mögen manchen unspektakulär vorkommen, für andere wiederum sind das große Schätze. Die Auszeichnung zum Bergsteigerdorf soll diese Qualitäten angemessen würdigen und Impulse schaffen, den eingeschlagenen Weg in Richtung einer nachhaltigen Bergtourismus- und Gemeindeentwicklung weiterzugehen. Mit dieser Initiative haben es sich die Alpenvereine zur Aufgabe gemacht, diese Orte mit jenen Besucher*innen zusammenzubringen, die genau deren Besonderheiten suchen. Hier geht es um mehr als nur um die touristische Entwicklung, um Bettenzahlen oder Nächtigungen. Es geht darum, das Bestehende zu nutzen und wertzuschätzen, und damit für die einheimische Bevölkerung einen Mehrwert zu schaffen – sei es, indem regionale Produkte konsumiert bzw. gekauft werden, sei es, indem bei einem familiengeführten Betrieb genächtigt wird, indem man sich nach der Wanderung im Dorfgasthaus stärkt oder bei der Anreise und vor Ort die Öffis und Wandertaxiangebote nutzt. Wichtig ist dabei nicht die Anzahl der Bergsteigerdörfer, sondern die Qualität des Angebotes – die Stärke liegt in der Vielfalt dieser Gemeinschaft.
Ihr wollt mehr über die Bergsteigerdörfer wissen? Ihr sucht noch nach Austragungsorten für euer Sektionsprogramm? Auf www.bergsteigerdoerfer.org findet ihr alle Dörfer mit ihren Angeboten (Tourenziele für alle Jahreszeiten, Hütten, Partnerbetriebe zur Nächtigung, etc.). sowie alle weiteren Infos und Kriterien, wie man ein Bergsteigerdorf werden kann.
1 Quellen: Bätzing, Werner (2015): Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen
Kulturlandschaft. 4., überarbeitete Auflage. C.H. Beck. München
Marion Hetzenauer ist Mitarbeiterin in der Abteilung Raumplanung & Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein und betreut die Initiative Bergsteigerdörfer.
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