Häufig haben wir in der Alpenvereinsjugend geschrieben, dass nicht die Bewahrungs- aber die Bewährungspädagogik der Schlüssel in der Begleitung von Kindern und Jugendlichen zu selbständigen Persönlichkeiten sei. In unserem Themenschwerpunkt Verantwortung ermöglichen zeigen wir auf: Kinder und Jugendliche sollen neugierig Herausforderungen suchen, selbst mutige Entscheidungen treffen, mit Unsicherheit umgehen und sprechen von einer dafür notwendigen zutrauenden, gelassenen Haltung. Ob wir mit dem Begriff der Bewährungspädagogik dafür eine wirklich gute Basis haben? Ich glaube nicht. Eine Ansichtssache.
Irgendetwas stimmt hier nicht
In heutiger Zeit, in der Kindheit im Detail funktionalisiert, Kompetenzorientierung ins Kinderzimmer eingezogen ist und elterliche Förderwucht Kinder auf die Überholspur hievt braucht eine klare Haltung eine klare Sprache. Sich-Bewähren als Haltung verweist zwar auf Kinder und Jugendliche, die nicht vor allen Herausforderungen und Risiken bewahrt werden sollen. Sich-Bewähren meint aber auch: sich als brauchbar / geeignet erweisen, bestehen, Erwartungen erfüllen.
„Der handliche, leistungsstarke, sehr leise Staubsauger hat sich trotz des stolzen Preises bewährt“. Im Sinne meines Bildes vom Leben, fällt mir ein: Ein Kind muss sich doch nicht als geeignet erweisen. Ein Kind ist geeignet. Ein Kind ist doch nicht einfach brauchbar, und damit auch unbrauchbar. Ein Kind, das die in es gestellten Erwartungen erfüllen muss, ist arm dran. Ein Kind ist doch einfach richtig, so wie es ist. Eine Sache bewährt sich, eine Investition in etwas, aber doch kein Mensch.
Sich bewähren ist kein freies Spiel
Ist unser innerer Kompass derart geeicht, dass sich unsere Kinder und Jugendliche an den Herausforderungen und Risiken des Spielplatzes oder des Lebens bewähren sollen, setzen wir enge Maßstäbe. Es öffnet sich kein freies, gestaltbares Spielfeld. Vielmehr habe ich einen Spielkartenstapel mit sauber gestapelten Aufgabenkarten vor Augen. Aufgaben, die zu bestehen es gilt, an denen man sich behaupten muss. Ansonsten: Unbrauchbar?
Klar, im Leben gibt es Zeiten der Irrungen, Rückschläge, Phasen in denen es durchzuhalten und zu bestehen gilt – Zeiten ohne Ponyhof. Aber als permanente Grundschwingung der kindlichen Versuche die Welt zu begreifen sowie der jugendlichen Versuche im Orientierung-Finden, ist ein Sich-Bewähren-Sollen, aber auch ein ständiges Sich-Bewähren-Wollen keine gesundheitsfördernde Option.
Sich Bewähren kennt keine Zukunftsoffenheit
Sich bewähren geht nur an etwas, das bereits da ist. Etwa im Vergleich zu einer Norm, zu investierter Zeit oder an festgesetzten Anforderungen. Bewähren an sich hat somit kein gestalterisches Potenzial, kennt keine Zukunftsoffenheit. Eine Folgerung könnte lauten: Bewährungspädagogik bewahrt den gesellschaftlichen Status Quo.
Von der Bewährungspädagogik zur zukunftsoffenen Bildung
Das pädagogische Pendel in Schule und Familie zeigt derzeit stark in Richtung des Sich-Bewähren-Müssens an immer höher gesetzten Leistungsanforderungen. Meistens bei in sich widersprüchlichen Gehhilfen: Individuelle Förderung sowie eine Fülle an Entscheidungsoptionen und knallharter Leistungsdruck um die besten Plätze in Schulen und um Ausbildungsplätze werden gleichzeitig verhandelt. In dieser betrügerischen Daumenpresse gelingt es Kindern und Jugendlichen – vielleicht auch ihren Eltern – immer weniger sich zu bewähren. Es kommt noch dicker: Sich-bewähren-müssen produziert eine entmutigte und ermüdete Generation, die nur schwer den Anforderungen der Zukunft gewachsen sein wird.
Eine zukunftsoffene Bildung ist getragen von einer Lernkultur des Zutrauens, mit Freiräumen für selbständiges Lernen, die die Energien der Kinder und Jugendlichen respektiert und das neugierige Wissen-Wollen lebendig hält. Es ist eine Lernkultur des Respekts vor sich selbst und dem Anderen. Eine Lernkultur, in der Gelassenheit, Herausforderungen, Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit eine bedeutende Rolle einnehmen.
Wenn wir unseren Kindern und Jugendlichen keine zukunftstaugliche Lernkultur bieten, wird uns das verantwortungsvolle Handeln in Zeiten komplexer Zusammenhänge und unsicherer Veränderungen nicht gelingen.
Matthias Pramstaller ist Bundesjugendsekretär der Alpenvereinsjugend.
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