Der Blick verrät Anspannung. Michael steht auf der großen Halfpipe. Immer wieder sucht er mit seinen Augen Halt. Er war schon öfter hier oben. Traut er sich heute? Im Kopf hat er den Drop-in immer wieder durchgespielt. Bei den anderen sieht es so leicht aus. Sein Freund Timon ist auch dabei. Wortlos überlegen sie, was für sie heute passt, kurzer Augenkontakt … BREAK … Die Spannung nimmt ab. Sie schnappen sich ihre Scooter und tragen sie die Stufen hinunter – vielleicht beim nächsten Mal.
Wer kennt sie nicht – die Frage: Soll ich oder soll ich nicht? Diesen Moment der Entscheidung. Manchmal überspringt man ihn. Dann kommt es eher zu der Frage: „Wie ist das denn passiert?“ Die Antwort ist oft ähnlich. „Hab vorher nicht drüber nachgedacht“ meint meist: „Es war keine wirklich bewusst getroffene Entscheidung“. Das geht wohl vielen von uns so und oft ist es auch nicht weiter tragisch. Wenn es allerdings um das Eingehen von Risiken geht, empfehlen sich andere Strategien. Wichtig: Die Offenheit für verschiedene Optionen und „Nein-Entscheidungen“ ebenfalls als wichtige und positive Erfahrung anzuerkennen. Das „Nein“ bedarf ebenfalls Mut und zeigt in vielen Fällen einen hohen Grad an Reife. Aber wie kommen wir zu Ja / Nein / oder Plan B? Und was ist der BREAK?
Warum Risiko?
„Risiko ist die Verbindung von Ungewissheit und Bedeutsamkeit.“ Diese Definition (Bennett 1986) haben wir bereits 2002 für die Grundlagenarbeit von risk´n´fun verwendet.
Das trifft es gut. Genau darum geht es. Wir sind bereit, Risiken einzugehen, wenn es uns wichtig ist. Wobei „wichtig“ hier nicht immer höheren Zielen dient. Manchmal ist es einfach nur Spaß und Freude – das gilt vor allem für die meisten Bereiche im Sport. Wir stellen uns primär dann Risiken, wenn wir uns weiter entwickeln wollen – Dinge tun wollen, die wir bisher noch nicht getan haben, Sachen
ausprobieren, die wir noch nicht kennen. Das machen wir übrigens schon unser ganzes Leben lang – denn ohne Neues zu versuchen, ohne die Komfortzone des bereits Bekannten zu verlassen, ohne dem Akzeptieren von den damit verbundenen Unsicherheiten gibt es keine nennenswerte Entwicklung. Nur wenn wir uns auf Ungewissheit einlassen, wenn wir die damit einhergehenden Risiken in Kauf nehmen, machen wir neue prägende Erfahrungen. Diese Risiken anzunehmen, sie vielleicht sogar als den besonderen Reizeiner Handlung zu erleben, ist das „Salz in der Suppe“, wenn es um die sogenannten Risikosportarten geht. Nun gibt es recht unterschiedliche Herangehensweisen, um sich die Suppe nicht zu versalzen, die richtige „Dosis“ zu wählen. Manchmal liegt der Entwicklungsschritt im „Nein“ oder im „lieber Andersmachen“. Das Treffen individuell „richtiger“ Entscheidungen entwickeln wir mit risk´n´fun seit vielen Jahren weiter und versuchen, passende Begleitung für Kinder und Jugendliche anzubieten.
BREAK – der Bruch im Tun
Bereits 2002 hat sich im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Pilotprojekts von risk´n´fun ein Begriff geprägt, der für uns zentraler Bestandteil des Risikohandelns ist und uns immer wieder herausfordert. Bei aller scheinbaren Einfachheit ist es doch ein recht komplexes Thema – der bewusst gesetzte Moment der Entscheidung für oder gegen eine Handlung – der BREAK. Ob man
ihn nun so nennt oder nicht, wir alle kennen ihn. Das Innehalten bevor wir weitermachen.
Wir alle haben auch Situationen erlebt, was passieren kann, wenn wir diesen Punkt übersehen – ihm zu wenig oder gar keine Aufmerksamkeit schenken. Grund genug, sich damit zu beschäftigen, wie wir – gerade beim Risikosport, aber auch in anderen Lebensbereichen – diesen BREAK verstehen und „kultivieren“ können, ihn in unser Handeln einbauen und ihm (zumindest meist) den Raum geben, den er braucht. Das ist manchmal nur ein kurzer Augenblick, wie vor dem Sprung über die Geländekante, manchmal ritualisiertes Procedere – wie bei uns bekanntem SOP (standard operating procedure) oder geplanten Entscheidungen am „point of no return“.
Wahrnehmung – Basis für Entscheidungen
Im Rahmen des internationalen Netzwerks risflecting® hat der BREAK weitere Entwicklung erfahren. Gerald Koller, Fachberater bei der Entstehung von risk´n´fun und jahrelanger Master Mind von risflecting®, hat den break so definiert: „Die Kompetenz, vor dem Eingehen auf eine Risikosituation kurz innezuhalten – und dabei innere Bereitschaft, psychische und physische Verfassung sowie soziale und Umweltfaktoren miteinander in Abstimmung zu bringen, bevor die Entscheidung zur Handlung getroffen wird – wird BREAK genannt. Dieser durchaus kurze Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozess ist weniger kognitiver als emotionaler Natur – zumal auch die Wahrnehmung der eigenen
Körpersignale wichtiger Teil dieser Kompetenz ist.“ Oder in der Kurzversion: „BREAK – die Fähigkeit, das Umfeld und eigene Empfinden als Basis von Entscheidungen wahrzunehmen“. Zentrales Element dafür ist es, sich selbst und den eigenen Empfindungen zu trauen. Das „Bauchgefühl“ erfährt hi
er wieder eine Renaissance. Wir sind gewöhnt, rein faktenbasiert, kopfgesteuert zu entscheiden – es empfiehlt sich aber sehr, die innere Stimme ernst zu nehmen; man muss nur lernen, sie wieder zu hören.
Kann man den BREAK üben?
Bei risk´n´fun machen wird das im Bereich Freeride, Bike und Klettern sehr erfolgreich.
Da passiert ganz viel durch Fragen und Antworten, gemeinsames Abwägen von Möglichkeiten
und der Anregung, eine für sich selbst passende individuelle Strategie für Entscheidungsprozesse
zu entwickeln. Einem der wichtigsten Faktoren, der Gruppendynamik, wird vor allem in den sogenannten Soft Skills Raum gegeben – wie beeinflusst die Gruppe meine Entscheidung? Lasse ich mich (fast unbewusst und oft kaum wahrnehmbar) unter Druck setzten? Wann fühlt sich eine
Entscheidung gut an? Aber auch wenn man den BREAK geübt hat, funktioniert er nicht immer. Nicht in jeder Situation sind wir bereit für diesen Wahrnehmungscheck, der Übertrag in andere Lebensbereiche gelingt nicht automatisch. Aber es lohnt sich doch sehr, ihn mal auszuprobieren, vor allem, weil das Gefühl während der Handlung dann ein besseres ist.
Wie funktioniert BREAK?
Martin Dworak, neuer Leiter des Studienwegs risflecting®, hat in seiner Darstellung des BREAK die drei Säulen von risk´n´fun „wahrnehmen – beurteilen – entscheiden“ eingebunden, aber das Innehalten als ersten Schritt vorangestellt.
Innehalten
Das eigene Handeln wird bewusst unterbrochen und dadurch werden Ressourcen freigemacht, die zur Entscheidungsfindung genutzt werden können.
Dem Entscheidungsprozess wird Zeit, Raum und Aufmerksamkeit eingeräumt und die Standfläche, auf der die Balance von Rausch
und Risiko gelingen kann, wird breiter und stabiler.
Wahrnehmen
Informationen über das Innen (Bereitschaft, psychische & physische Verfassung), das Außen (Umwelt, Umgebung, Distanzen etc.) und Wechselwirkungen (z.B. Gruppendynamik) einholen
Beurteilen
Relevante Informationen herausfiltern und abwägen. Umso besser das Wissen und Fühlen um die Situation eingeordnet werden kann, umso besser kann die Balance gelingen.
Entscheiden
Treffen und Durchführen einer Entscheidung aufgrund der Erkenntnisse aus der Beurteilungsphase.
„Hier spielt neben „Ich“ und „Thema“ aber auch der Faktor „Gruppe“ eine große Rolle.
Eine Entscheidung – drei Wege
1. JA! / Go
Bewusst in die Situation hineinbegeben
2. NEIN! / STOP
Verzicht auf das Erlebnis/Abbruch des Erlebnisses
3. ANDERS / Plan B
Änderung von Set und/oder Setting und neuerlicher BREAK
Michael und Timon haben sich diesmal für das Zweitens – VERZICHT entschieden. Ihre Gesichter zeigen keine Enttäuschung als sie die Treppe von der Halfpipe runtergehen. Ganz offensichtlich fühlt sich der von ihnen diesmal gewählte Weg gut an. Und morgen ist ja auch noch ein Tag ….
Jürgen Einwanger ist Leiter der Alpenverein Akademie und Bildungsreferent der Alpenver-einsjugend. Seit Projektstart im Jahr 2000 ist er im Leitungsteam von riskʼnʼfun.
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