Wir scheuen, was wir nicht kennen – wir schützen, was wir achten.

Nachhaltigkeit als Thema und nachhaltiges Handeln als Einstellung scheinen inzwischen bei vielen Menschen angekommen zu sein. Es gehört fast schon zum guten Ton, Nachhaltigkeit als Grund für Entscheidungen anzugeben und auch die Werbung betont immer mehr den Zusammenhang mit ihren Produkten und wie damit die Natur geschont wird. Die Natur ist uns wichtig geworden. Immer mehr verstehen die Zusammenhänge von gesunder Natur und gesunden Menschen.

Immer mehr genießen die Ruhe in unberührten Naturgebieten und erleben diese als Oasen für Erholung und Entschleunigung. Immer wichtiger scheint uns der Erhalt dieser Natur, immer mehr begreifen, dass uns das alle etwas angeht, und dass wir alle beitragen können.

Dabei war das nicht immer so. In den 1970er Jahren wurde verstärkt das Problem der Naturentfremdung erkannt, ein achtsamer und schonender Umgang war offenbar nur einer kleinen Minderheit wichtig. Das war dann auch die Zeit, in der im deutschsprachigen Raum die „Umweltpädagogik“ wichtig wurde und erste Studien nachwiesen, dass durch diese emotionale Distanz zwischen Menschen und Natur auch ein un-natürliches Verhalten und Berührungsängste entstanden.

Warum ich einen Beitrag zur Inklusion mit Nachhaltigkeit einleite?

Weil in dieser Entfremdungszeit ein Aufruf zur Natur-Mensch-Beziehung die Umweltpädagogik geprägt hat, der mich auch in Bezug auf den Wunsch nach einer „inklusiven Gesellschaft“ nachdenklich macht:„Was wir kennen und lieben, das schützen und achten wir.“

Damit war gemeint, dass unsere Gesellschaft, vor allem aber die Kinder und Jugendlichen, wieder mehr Begegnung mit Natur brauchen, um diese als beachtenswert und wichtig anzuerkennen. Das ist 50 Jahre her. Wenn ich das Bild auf das Thema der Inklusion übertrage, wird deutlich, welcher zentrale „Link“ zum Beispiel zu Menschen mit Behinderung fehlt.

Wer noch nie in seinem Leben Menschen begegnet ist, die sich aufgrund einer Behinderung anders bewegen, anders sprechen oder Hilfestellungen brauchen, konnte unter Umständen nie einen achtsamen und zugewandten Umgang mit „anders sein“ entwickeln – vergleichbar mit jemandem, der noch nie (oder wenig) in der Natur war und daher keine Natur-Beziehung und Achtsamkeit entwickelt hat.

Diese Parallele macht mir Angst und Hoffnung zugleich. Angst, weil es möglicherweise noch ein langer Weg zur inklusiven Gesellschaft ist – Hoffnung, weil wir alle beitragen können, dass „anders sein“ im Sinne einer vielfältigen und bunten Gesellschaft als bereichernd erlebt wird, wenn wir Begegnung und Beziehung ermöglichen – und damit bin ich nun endlich beim Alpenverein.

Inklusion in der Alpenvereinsjugend

Als ich vor über 20 Jahren begonnen habe, für die Alpenvereinsjugend zu arbeiten, gab es bereits die ersten Feriencamps, zu denen dezidiert Menschen mit und ohne Behinderung eingeladen waren. Das war zu dieser Zeit nicht selbstverständlich. Ich kann mich noch an einige Aussagen von Vereinsmitgliedern und –funktionär*innen erinnern, die zusammengefasst meinten: „Behinderte haben am Berg (draußen) nix verloren!“ und, dass der Alpenverein hier „nicht zuständig“ sei.

Wenn ich mir nun anschaue, was sich inzwischen alles getan hat, dann bin ich recht dankbar und schaue erwartungsvoll in die Zukunft. Es wäre nämlich schade und beschämend, wenn wir auch 50 Jahre brauchen, bis sich in der Haltung zur Inklusion wirklich was ändert… aber nun der Reihe nach.

Die Ferienwiese als Begegnungsort für alle

Um Sommercamps anzubieten, braucht es einen geeigneten Platz – und den hat sich die Alpenvereinsjugend mit der Ferienwiese Weißbach bei Lofer geschaffen. Die ersten Jahre war hier zwar nichts wirklich barrierefrei, aber die Abenteuer wie Raften und Klettern standen erstmals allen offen. Inzwischen ist der Platz aus dem Portfolio des inklusiven Angebots nicht mehr wegzudenken. Sowohl die Sanitäranlagen als auch die Holztipis sind für Rollifahrer*innen bestens geeignet und die Wege dazwischen so angelegt, dass sie ebenso barrierefrei sind wie die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten.

Barrierefreie Hütten und Wege

Damit das nicht der einzige Standort bleibt, haben wir 2016 bei den Alpenvereinshütten nachgefragt. Und siehe da, der „Hüttenfinder“ auf der Alpenvereinswebsite zeigt bei der Abfrage „barrierefrei“ inzwischen 19 Ergebnisse. Diese Hütten haben die Qualitätskriterien unterzeichnet, die wir gemeinsam mit Expert*innen ausgearbeitet und bei denen wir in „bedingt barrierefrei“ und „barrierefrei“ unterschieden haben.

Natürlich müssen diese Hütten für Rollstuhlfahrer*innen auch erreichbar sein – das ist eines der Kriterien – und damit sind wir bei der nächsten Initiative, die zeitgleich begonnen wurde. Auch im Tourenportal der Alpenvereine (alpenvereinaktiv.com) können seitdem barrierefreie Touren durch ein eigenes Filterkriterium gesucht und gefunden werden.

Der Gedankenanstoß mit den „Hütten & Wegen“ ging von einem Teilnehmer des ersten Leuchtturmprojekts „Team insieme“ aus. Beim Projektabschlusstreffen meinte er, ob es eine Möglichkeit gäbe, bei uns in den Alpenvereinskarten die Wege zu markieren, die auch für Rollis möglich sind. Das haben wir gerne aufgegriffen und auf der „digitalen“ Karte realisiert.

Projekt Team Insieme 2015/2016

Apropos Leuchtturmprojekte: Diese wurden möglich, nachdem wir einen erheblichen Geldbetrag von einem Sponsor bekommen haben, „um was Inklusives“ zu machen.

Das war der Türöffner. Und nachdem wir zu dieser Zeit auch mit den Jungen Alpinisten ein Team ins Leben gerufen hatten, das sich zwei Jahre auf eine Expedition vorbereiten und diese planen und durchführen sollte, haben wir einen daran angelehnten Ansatz auf die Inklusion übertragen.

Projekt Insieme 2015/2016Begleitet von einem kompetenten „mixed abled team“ wurde das Projekt ausgeschrieben, die Bewerber*innen eingeladen und der gemeinsame Weg als inklusive Gruppe gestartet. Die Teilnehmer*innen waren letztendlich fünf Mal miteinander unterwegs. Hauptaktion war im August 2016 eine abenteuerliche zweiwöchige Kanutour in Schweden.

Projekt Inklusive Transalp 2018/2019

Nach einem Jahr Pause folgte das zweite und bisher letzte Leuchtturmprojekt. Wieder zwei Jahre Vorbereitung, wieder eine gemischte Gruppe. Aber diesmal mit einem vorgegebenen Ziel: eine gemeinsame Transalp mit Hand- und Stehendbikes. Auch dieses Projekt war für die Beteiligten eine echte Herausforderung. Letztendlich sind alle glücklich, müde, wohlauf und zufrieden am Gardasee angekommen – das war im September 2019.

Inklusive TransalpProjekt INKlettern

In diesem Jahr wurde auch von engagierten Inklusionsbegeisterten in der Sektion Graz das Thema Klettern als Möglichkeit für inklusives Erleben intensiviert und das Projekt „INKlettern“ ins Leben gerufen. Die Idee ist so einfach wie wirkungsvoll und war von Anfang an sehr erfolgreich, bis ein Virus zur Absage (fast) aller Termine 2020 und 2021 zwang. Klettern hat sich schon mehrfach als wirklich attraktiver und im Alpenverein gut zu multiplizierender Ansatz bewährt – in fast allen Sektionen gibt es Klettergruppen -, warum also nicht auch Menschen mit Behinderung dazu einladen, wie das manche Sektionen auch schon geraume Zeit praktizieren?

INKlettern GrazFür die Jahre 2022 und 2023 haben wir nun sogar extra Mittel des Sportministeriums bekommen und können damit die „INKlettern Tour“ und Implementierung von inklusiven Gruppen in den Sektionen unterstützen. Ein für uns wichtiger Aspekt ist, dass wir das nicht alleine machen und so wollen wir diese zwei Jahre nutzen, um gemeinsam mit Mellow Yellow Inklusion in Schulen zu bringen, mit Special Olympics daran arbeiten, dass sich Klettern auch hier als Sportdisziplin etabliert und mit der Lebenshilfe versuchen, die Organisationsteams ebenfalls inklusiv zu gestalten.

Erlebnisräume für alle Menschen

All diese Projekte und Infrastrukturbemühungen gelten der Eröffnung und Etablierung von Erlebensräumen für möglichst alle Menschen. Unser wichtigstes und stärkstes Instrument dafür ist und bleibt die Breite und Wirksamkeit der Arbeit in den Sektionen. Eine der Vorreiter war hier sicher die Sektion Klagenfurt, die seit mehr als zehn Jahren mit inklusiven Gruppen unterwegs ist. Aber auch andere Sektionen sind vielfältig tätig.

Inklusives SommercampUm sich darüber austauschen zu können, laden wir einmal im Jahr zum Netzwerktreffen Inklusion. Wir versuchen über Ausbildung, Motivation und Qualifikation zu unterstützen und Hemmschwellen abzubauen und laufend publizieren wir in unseren Medien, um Leser*innen zu sensibilisieren.

Gesunde Inklusion in der Mitte der Gesellschaft

Denn ähnlich wie es die Nachhaltigkeit immer besser in das Bewusstsein der Menschen schafft und der Schutz von Klima und Artenvielfalt auf dem Weg zur gesellschaftlichen Querschnittsmaterie ist, sollte es uns auch gelingen, das Inklusive in die Mitte unseres Handelns zu stellen. So wie wir begreifen, dass eine gesunde Natur Voraussetzung für physisch und psychisch gesunde Menschen ist, müssen wir den Zusammenhang zwischen gesunder Inklusion und einer gesunden Gesellschaft verstehen und leben lernen.

Der Alpenverein hat hier schon einige Zeichen gesetzt und mitgestaltet. Ich würde mir wünschen, dass es anders als beim Thema Klima keine Krise braucht, um das Engagement für ein gutes Miteinander weiter auszubauen und lebendig zu halten – auch wenn uns der eine oder die andere wegen einer Behinderung, Hautfarbe, Kultur, etc. zunächst Rätsel aufgibt – bis wir uns kennen und achten gelernt haben“. Jürgen Einwanger

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Jürgen Einwanger ist Leiter der Alpenverein Akademie und Bildungsreferent der Alpenver-einsjugend. Seit Projektstart im Jahr 2000 ist er im Leitungsteam von riskʼnʼfun.

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