Zugegeben – ein etwas ungewöhnlicher, sperriger Titel, der vielleicht auch Fragen aufwirft – so ist er gedacht. Auch unser Workshop bei der Fachtagung in Kaprun trug diesen Titel. Wahrscheinlich hat sich die eine oder der andere gefragt, was das heißen soll. Und war vielleicht gespannt und neugierig – auch da gilt: So war es gedacht.

Die Gründe unseres (ökologischen) Handelns sind

Der Alpenverein ist eine gesetzlich anerkannte Umweltorganisation.

Er – und damit wir alle – verstehen uns als Anwalt der Alpen.

Wir sind der Alpenkonvention verpflichtet.

Wir bemühen uns, bis 2033 klimaneutral zu werden.

Wir wollen mit Menschen jeden Alters eindrucksvolle Tage draußen verbringen.

Wir denken, dass wir damit Verbündete finden für den Schutz von Lebensräumen und Biodiversität.

… Jede*r kann noch mehr Gründe finden.

Kommen wir auf den Boden unseres Handelns:

Wir sind in Landschaften unterwegs. Landschaften beherbergen Lebensräume. Wir wollen diese Landschaften und Lebensräume nützen. Das kann geschehen, indem wir sie als Kulisse für schöne Tage draußen verstehen oder als Substrat für alpinistische Unternehmungen. Aber das wollen wir nicht. Nicht nur!

Wir wollen Lebensräume verstehen, uns in ihnen zuhause fühlen, respektvoll in und mit ihnen umgehen. Um das zu können, ist es wichtig, Interesse zu entwickeln. Interesse wächst mit Wissen, Durchblick und Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Das zu entdecken, kann spannend sein.

Sich auskennen setzt Interesse voraus. Interesse kann nicht verordnet werden, aber es lässt sich wecken! Das ist unsere Motivation zu diesem Text und in unserer Arbeit für den Alpenverein:

Interesse dafür zu wecken, in den Landschaften, die wir betreten, mehr zu sehen als Kulisse & Substrat, nämlich Lebensräume, Ökosysteme.

Interesse zu wecken dafür, etwas über die Lebensräume, in denen wir uns bewegen, wissen zu wollen, sie verstehen zu lernen, etwas über sie erzählen zu können.

Interesse dafür zu wecken, genau hinzuschauen, müßig – also mit viel Muße – und aufmerksam durch die Welt zu gehen, Entdeckungen zu machen und diese in ein wachsendes System des Verstehens einordnen zu können.

Wir sind überzeugt, dass das eine Grundvoraussetzung ist für Menschen, die (für den Alpenverein) Gruppen in die Natur begleiten und führen. Genauso, wie es eine Grundvoraussetzung ist, die Techniken einer Sportart, die man unterrichtet, zu beherrschen.

Das muss eine Grundhaltung sein!

Ein Curriculum?

Uns ist bewusst, dass es – u. a. aus Gründen der Komplexität – nicht gut möglich ist, hierfür ein Curriculum zu erstellen, das abgearbeitet und abgeprüft werden kann. Ebenso wenig können wir ein Curriculum für zu entwickelndes Interesse erstellen. Interesse kann nur jede*r selbst entwickeln.

Wir können aber…

  • Gründe und Boden für diese Grundhaltung vermitteln und erklären.
  • grundlegende ökologische Zusammenhänge und biologische Phänomene zeigen und beschreiben.
  • spezifische Fortbildungsangebote setzen.
  • Interesse wecken und Grundsteine legen.

Eigenverantwortung!

Für die Festigung der und den Aufbau auf diese Grundsteine ist aber jede*r selbst verantwortlich. Genauso, wie eine neu erlernte Sicherungstechnik immer wieder praktiziert werden muss, um sie kompetent anwenden und vermitteln zu können, so kann und sollte auch der ökologische Blick kontinuierlich geübt, verfeinert und wie selbstverständlich angewendet werden.

  • Lernen kannst du das…
    • …in den Fortbildungsangeboten des Alpenvereins und der Alpenverein Akademie.
    • …im Unterwegssein mit anderen Interessierten.
    • …im müßigen und aufmerksamen Durch-die-Welt-Gehen.
    • …auch gemütlich ruhend bei der Lektüre guter Literatur (Lit.Liste).

Manches davon haben wir im Workshop erlebt:

Ebereschenblätter schmecken nach Marzipan. Der Straußfarn lässt seine Sporen nicht auf den Blattunterseiten wachsen wie andere Farne, sondern auf einem eigenen Sporenträger (Sporophyll), der vom letzten Jahr noch geheimnisvoll im Wald rumsteht. Der Sauerklee reagiert auf Sonne, Regen und Berührung. Und Flechten auf Benetzung. Spuren können ganz unterschiedlich sein – von der Tierspur bis hin zum menschlichen Müll. Pilze sind die größten Organismen.

Wir haben Schönheit entdeckt: Die Blüte der giftigen Einbeere ist ziemlich ungewöhnlich.

Ungewöhnliches merkt man sich. Artenkenntnis entsteht zusammen mit dem Interesse. Man möchte System in sein neues Wissen bringen, beginnt, Merkmale von Pflanzenfamilien zu erkennen und hat so manches Aha-Erlebnis. Wenn man dann eine Geschichte dazu erzählen kann, umso besser. Im Fall der Einbeere – Paris quadrifolia – kann man die griechische Mythologie bemühen: Paris und die Hesperiden.

Und dann tut es weh!

Wir alle sind während des Workshops aufmerksam durch den Lebensraum gestreift, haben ihn wahrgenommen in seiner Besonderheit und Schönheit und wir denken, alle die dabei waren, haben gefühlt und verstanden, dass man diesen schönen Standort des seltenen Straußfarns nicht für Geländespiele nützt. Das tut weh!

Weglos

Wie funktioniert das, Besonderheiten und Schönheiten von Lebensräumen wahrzunehmen? Eine Annäherung gelingt am besten, wenn man in Zeitwohlstand, ziellos und möglichst weglos unterwegs ist. Mit Aufmerksamkeit und einem sorgfältigen Blick kann man auf Entdeckungsreise gehen – ohne etwas zu zerstören. Natürlich werden wir Spuren hinterlassen, das dürfen wir auch, solange sie „nothing but footprints“ sind.

Im weglosen Gehen werden wir aufmerksamer und mit mehr Entdeckungen, Fragen und Antworten belohnt, als „Ziel-strebig“ am Weg. Wir lernen die unscheinbaren Kleinigkeiten kennen, die den Lebensraum ausmachen. Wir finden Anknüpfungspunkte und Gelegenheiten für Übungen mit unseren Teilnehmenden. Und wir entwickeln ein Gefühl dafür, „was weh tut“!

Nothing but…

Wenn wir Lebensräume betreten, dann geht es immer auch darum, welche Spuren wir hinterlassen. Das ist vollkommen unabhängig davon, welcherart der Lebensraum ist. Sei es ein urbaner Homo sapiens-Lebensraum oder die totale Wildnis – wir hinterlassen Spuren. So stellt sich häufig die Frage, inwiefern es legitim ist, Spuren in natürlichen Lebensräumen zu hinterlassen bzw. welche der Spuren, die wir hinterlassen, legitim sind.

Der ÖAV schmückte sich eine Zeit lang mit dem schönen Emblem „leave nothing but footprints“. Hier könnte man vielleicht das alte Logo ausgraben?!

Dieser Spruch sagt schon viel. Und er kann noch weiter gesponnen werden:

Gibt es auch Lebensräume, in denen ich – legitimerweise – nicht einmal Fußspuren hinterlassen darf? Ja, z.B. Feuchtgebiete, Hochmoore im Besonderen!

Und kann ich vielleicht nicht nur einen Fußabdruck hinterlassen (oder vermeiden), sondern auch einen Handabdruck, durch Taten, die ich setze (das Papierl am Wegesrand aufheben, eine Schnecke vom Weg aufheben und in Sicherheit bringen, vor allem vermitteln, aufklären, vorleben, … )? Damit hinterlassen wir dann auch Spuren in den Menschen, die wir begleiten und führen dürfen.

So kommen wir wieder auf den Kern unseres Anliegens, unseres Auftrags: Als Menschen, die wir Menschen in die Natur begleiten und führen, sind wir stets gefragt, uns Gedanken über die Spuren zu machen, die wir hinterlassen. Die legitimen und die zu vermeidenden, die sichtbaren und die metaphorischen. Fußabdrücke gleichermaßen wie Handabdrücke. Dieses Thema darf uns immer begleiten, sollte bei all unseren Unternehmungen mitschwingen. Dann dürfen wir uns guten Gewissens als Teil der Natur, als legitime Nutzer*innen der uns offenstehenden Lebensräume fühlen.

Eine Idee für Ausbildungskurse

Genauso, wie man zu Beginn seiner Ausbildung zum/zur Jugendleiter*in (oder entsprechender Lehrgänge) beginnt, sich Listen für WUPs und unterschiedlichste Übungen anzulegen, genauso kann man sich auch Listen von Lebensräumen anlegen, denen man begegnet.

Zu jedem WUP, zu jeder Übung gibt es Notizen, zu welcher Gruppensituation sie passen.

Zu jedem Lebensraum gibt es Notizen, welche Potenziale er für die Arbeit mit Gruppen hat, was dort geht und was dort nicht geht, welche Entdeckungen man machen kann, etc.

„Runter vom Bespaßungs-Thema!“…

… kann uns die ganz basale Beschäftigung mit Lebensräumen führen. Diesen Vorschlag machte eine Teilnehmerin. Er offenbart eine wichtige Erkenntnis und eine grundsätzliche Haltung: Lassen wir die Lebensräume ihre Wirkung entfalten und ihre „Arbeit“ tun! Sie können das hervorragend. Wenn wir kooperationsbereit sind, eröffnen sie uns neue Wege. Spaß können wir trotzdem haben, bei wilden Geländespielen, beim Hüttenbauen, im Adlerfarn-Dschungel. Wenn’s an den richtigen Stellen weh tut!

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Biologin, Beauftragte für Kinder und Familien, Mutter und Großmutter und am liebsten draußen unterwegs.

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Michel Max Kalas ist freischaffender Biologe und Outdoor-Trainer. Er widmet sich im Besonderen der basalen Naturerfahrung und Naturvermittlung für (jüngere) Kinder und der ökologischen Bildung.

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