In Memoriam Robert Renzler
Beitrag aus DREI D Magazin 02/2020
Worte, die tief in die Seele des Bergsteigens blicken lassen, jener sportlichen Tätigkeit, die im Wagen Freiheit und intensives Erleben schenkt und gleichzeitig umfassende Befähigung zur verantwortungsvollen Ausübung einfordert. Das Können ist des Dürfens Maß, postulierte zu Recht einst Paul Preuss, bekannt für seine kompromisslose Haltung im Umgang mit dem Risiko.
Letztlich geht es beim klassischen Alpinismus um Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Verantwortung und die Relation zum Risiko in einer fast manisch nach der Illusion einer allumfassenden Sicherheit gierenden Gesellschaft.
„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“ lautet ein Zitat, das Benjamin Franklin zugeschrieben wird. Eine visionäre Sicht der Dinge, die richtig verstanden im Bereich des Bergsports gilt und viel mehr noch für eine Gesellschaft, deren demokratische Verfasstheit im Begriffe steht sich in eine postdemokratische zu wandeln.
Als Alpenverein haben wir die großartige Möglichkeit, junge Menschen in eine Welt zu begleiten, die sich von der fast durchgehend durch die Algorithmen des digitalen Zeitalters vermittelten Lebens-, Schul- und Arbeitswelt scharf abhebt. Eine Welt, die auf die leibliche Wahrheit des Menschen mit all seinen Instinkten und Emotionen verweist und die auch die Begrenztheit unseres Daseins spüren lässt.
Das Unterwegssein in der Bergnatur, das Erleben von unbändiger Freude und Erschauern, die Wärme der ersten Sonnenstrahlen und der Schmerz beißender Kälte, das Drohen von Gefahr und der Rückhalt durch die Nähe der Partnerin in einer weitgehend unverfälschten, nicht zurecht gerichteten Welt lassen uns die Menschennatur, aus der wir geformt sind, erahnen.
Bergsteigen braucht Freiheit, eine Freiheit von allzu viel Normen, Vorschriften und Technik und den Freiraum einer Naturlandschaft, die nicht verbaut und inszeniert wird. Die Begegnung von Menschennatur und Bergnatur, die Konfrontation mit lichten Höhen und tiefen Abgründen geben dem Bergsport eine anarchische Komponente, die viel zur Faszination des Tuns beiträgt und die Freiheit zu entscheiden, zu wagen und zu verantworten einfordert.
Wer Verantwortung ermöglicht, ermöglicht Freiheit, ermöglicht Mut zu einem positiven Umgang mit seinen Ängsten und ermöglicht, sich mit Zuversicht dem Leben zu stellen.
Unsere offene, liberale Gesellschaft, so wir sie bewahren wollen, braucht diese kritischen, entscheidungsfrohen und selbstverantwortenden jungen Menschen, die verstehen, dass Freiheit uns alle angeht und wir sie ständig neu definieren und um sie kämpfen müssen.
Wer bereit ist die Freiheit zu wagen und in den freien Räumen der Berge, der Gedanken und der Gesellschaft zu fliegen, der weiß, dass man auch abstürzen kann und manchmal auch muss, weil dies im Wesen der Freiheit liegt. Freiheit fordert ihren Preis. Doch ohne das Wagnis und die Verpflichtung zur Freiheit werden wir uns schneller als uns lieb ist in sichtbaren und unsichtbaren Ketten finden.
Bleibt schließlich noch die schamhafte Frage für den Querdenker, warum Denken immer dann quer, verquer (?) sein muss, wenn es um ein Hinterfragen zeitgeistigen Mainstreams geht. Vielleicht liegt gerade im Queren mehr an Geradlinigkeit als in der scheinbaren Wahrheit sich stetig gleichender Leitartikel.
Robert Renzler (✝20. Mai 2023) war von 2002 bis 2020 Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins und ist Ehrenmitglied seit 2021.
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