Die Temperaturen steigen, die Gletscher schwinden und die Berge bröckeln. Klassische Anstiege gehören der Vergangenheit an und die großen Wände können nur noch im Winter bestiegen werden: Hello Klimawandel!

Durch die Klimaerwärmung werden sich in den nächsten Jahrzehnten nicht nur unsere Lebensgewohnheiten stark verändern, sondern auch die Art und Weise, wie wir in Zukunft auf Hochtouren unterwegs sein werden. Dabei ist Letzteres in Anbetracht der ernsten, globalen Situation mit Sicherheit das kleinste Übel, aber für uns bergbegeisterte Menschen dennoch ein Faktor, mit dem wir uns beschäftigen wollen.

Hochtourengehen war und ist die Königsdisziplin im Bergsport. Die Anforderungen sind hoch und die Fähigkeiten, die wir fürs Bergsteigen im vergletscherten Hochgebirge mitbringen müssen, vielfältig.

Alte Hochtouren-Führerliteratur hat leider nur noch nostalgischen Wert.

Durch Ausaperung der Gletscher und vermehrten Steinschlag durch Auflösung des Permafrostes kommen neue, zusätzliche Herausforderungen auf uns zu. Insbesondere wird der Tourenplanung noch mehr Bedeutung zukommen wie bisher. Aufgedröselt auf unsere bekannten Schlüsselfaktoren Gelände, Verhältnisse und Mensch (die natürlich ineinander übergreifen) wollen wir uns in weiterer Folge damit beschäftigen, warum das so ist.

GELÄNDE

„Keine Panik, der Berg steht noch länger!“, mit dieser Bergsteiger- Weisheit wurden wir früher, wenn das Wetter oder die Verhältnisse einmal nicht so mitspielten, auf kommende Tage vertröstet. In Zeiten des Klimawandels gilt der Sager nur noch bedingt. Klar steht der Berg noch länger, aber die Gretchenfrage, ob es die Route auch noch länger gibt, muss leider immer häufiger mit „Nein“ beantwortet werden: Von den bekannten Eiswänden in den Ostalpen ist praktisch keine mehr vorhanden.

In Zeiten des Klimawandels ist Kreativität gefragt: Gehört das Schlauchboot bald zur Standardausrüstung auf Hochtouren?

Fast alle fielen in den letzten Jahrzehnten der stetig steigenden 0°-Grenze und den schneearmen Sommern zum Opfer. Gott hab sie selig, die altehrwürdige Pallavicini2- Rinne, die mächtige Ortler-Nordwand und die majestätische Königsspitz-Nordwand… Wollen wir dennoch auf Hans Ertls3 Spuren durch große Wände steigen, müssen wir dies in der kalten Jahreszeit tun. War vor einigen Jahren eine Winterbegehung der Eiger Nordwand noch etwas Besonderes, ist dies heutzutage ein absolutes Muss, will man die Wand noch mit halbwegs akzeptablem Risiko meistern.

Neben den großen, klassischen Eiswänden sind vor allem die Übergänge im vergletscherten Hochgebirge vom massiven Rückgang der Gletscher betroffen. Durch die Ausaperung werden diese deutlich anspruchsvoller und – bedingt durch Steinschlag – objektiv auch gefährlicher. Haben wir Glück, werden Scharten und Joche mithilfe von Klettersteigen wieder passierbar gemacht. Folglich ist der Steinschlaghelm auch auf Hochtour nicht mehr wegzudenken und die Mitnahme eines Klettersteigsets wird uns in Zukunft häufiger treffen.

Die Gesamtanforderungen auf Hochtouren werden größer: Um Scharten zu überwinden, stehen Abseilmanöver an der Tagesordnung…

Haben wir weniger Glück, stehen aber auf der richtigen Seite des Jochs, können wir zumindest noch Abseilen,
wozu es wiederum entsprechende Ausrüstung und Know-how braucht. Haben wir gar kein Glück und stehen auf der falschen Seite, ist das gleichbedeutend mit dem Ende der Tour4.

Um sich Tourentipps zu holen, haben alte Führerliteratur und Karten mit überholtem Gletscherstand ausgedient. Sie haben zwar nostalgischen Wert, sind aber für unsere Planung nicht mehr zu gebrauchen. Aktuelle Tourentipps bekommen wir aus zuverlässigen Internet- Quellen, wie z.B. alpenvereinaktiv.com.

VERHÄLTNISSE

Einen wesentlichen Einfluss darauf, ob unsere Tour machbar ist oder nicht, haben die aktuell herrschenden Verhältnisse. Deshalb versuchen wir in der Planung, so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Diese können wir ebenfalls über alpenvereinaktiv.com sowie über persönliche Kontakte zu Hüttenwirt*innen, Bergführer*innen oder erfahrene Freund*innen einholen.

Aktuelle Bedingungen im Allgemeinen und Hinweise zu Gefahrenbereichen im Speziellen – wie hier auf dem Weg zur Wildspitze über das Mitterkarjoch – erhalten wir auf zuverlässigen Internetportalen wie alpenvereinaktiv.com.

Besonderes Augenmerk in der Planung müssen wir der Temperatur bzw. der 0°-Grenze schenken: War es früher auch im Sommer im Hochgebirge die Regel, dass es in der Nacht friert, ist dies heutzutage eher die Ausnahme. Die Folgen warmer Nächte sind weicher Sulzschnee, der nicht nur das Vorwärtskommen erschwert, sondern auch die Spaltensturzgefahr erhöht. Apropos Spaltensturzgefahr: Durch die schneearmen Winter und Sommer ist die Schneeüberdeckung der Spalten geringer und demzufolge auch das Risiko hineinzustürzen das ganze Jahr über höher.

Zudem werden die Gletscher früher blank, was wiederum die Verschiebung der Hochtourensaison in den Frühling bzw. Frühsommer hinein bedingt. Deshalb ist es wichtig, abzuchecken, wie viel Schnee aktuell liegt und wir stellen uns die Frage, ob Spalten und Flanken noch gut bedeckt sind. GPX-Tracks über vergletschertes Gelände aus dem Internet sind – sofern sie aus einer zuverlässigen Quelle stammen – eine gute Planungsgrundlage.

Allerdings darf man ihnen – besonders, wenn sie schon mehrere Jahre alt sind – nicht blind vertrauen. Zu schnell ändert sich der Zustand des Gletschers. Ebenfalls abhängig von der Temperatur ist das Steinschlagrisiko: Durch Ausaperung und Auflösung des Permafrosts sind wir vermehrt mit Steinschlag konfrontiert.

Durch die warmen Sommer sind die Gletscherspalten weniger gut mit Schnee überdeckt – die Anforderungen steigen. Im Sommer 2022 gab es in der Schweiz laut SAC-Bergunfallstatistik einen neuen Rekord bei den Spaltenstürzen.

Wege- und Gebietssperrungen, wie z.B. jene oberhalb der Tuoi-Hütte auf der Südseite des Piz Buin, sind die Folge. Zudem werden die meisten Touren anspruchsvoller, wie auch der Normalweg auf den Großglockner. Waren bis dato drei Gäste pro Bergführer*in am Seil, gibt es seit heuer die Empfehlung des österreichischen Bergführerverbandes, aufgrund der Ausaperung des Eisleitls und den damit verbundenen höheren Anforderungen, nur noch zwei Gäste zu führen.

Informationen über etwaige gefährdete Gebiete und regionale Regelungen bekommt man am besten auf den Homepages der Hütten, auf einschlägigen Tourenportalen und in den sozialen Medien sowie auf den Seiten der alpinen Vereine und der jeweiligen Bergsportführerverbände.

MENSCH

Über den beiden Faktoren „Gelände“ und „Verhältnisse“ steht natürlich der „Faktor Mensch“. Letztendlich sind wir es, die es in die Berge zieht und letztendlich sind auch wir es, die von den Veränderungen im Gebirge betroffen sind. Was heißt das konkret?

Wir müssen in Zeiten des Klimawandels noch genauer planen und uns ganz spezifisch folgende Fragen stellen:

Gibt es die Tour überhaupt noch und wenn ja, hat sich die Route geändert? Bin ich den eventuell höher gewordenen Anforderungen gewachsen und ist die Tour mehr als früher von objektiven Gefahren wie Stein- und/oder Eisschlag betroffen? Bin ich bereit, diese erhöhten Risiken einzugehen? Zu welcher Jahreszeit herrschen die besten Verhältnisse? Passen Temperatur, 0°-Grenze und tageszeitliche Erwärmung zu meinem Zeitplan?

Bei der Beantwortung dieser Fragen werden wir feststellen, dass sich die Jahreszeiten, in denen wir Hochtouren unternehmen können, ändern und die Saisonen fließend ineinander übergehen werden. Viele Touren werden anspruchsvoller werden und Skills, wie sicheres Fortbewegen im brüchigen Schrofengelände sowie im weglosen Moränengelände, werden ebenso notwendig wie Fertigkeiten zum Überwinden großer Bergschründe und Randklüfte.

Neben diesen technischen Herausforderungen werden uns hohe Temperaturen und Strahlung am Berg fordern. Wer weiß, vielleicht wird neben dem Klettersteigset auch bald der Sonnenschirm zur Standardausrüstung auf Hochtouren zählen? Für manche Touren werden manche Bergsteiger*innen ein höheres Risiko auf sich nehmen und manche werden verzichten.

Bestes Beispiel dafür ist der Normalweg auf den Mont Blanc durch das extrem steinschlaggefährdete „Grand Couloir“, wo jede und jeder für sich selbst entscheiden muss, ob es zurBesteigung des höchsten Berges der Alpen noch dafürsteht, dieses Risiko einzugehen…

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Gerhard Mössmer ist Berg- und Skiführer, Mitarbeiter in der Abteilung Bergsport und zuständig für Lehrschriften und Lehrteam.

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