Patagonien – Teil 1

Und hier stehen wir nun, in Patagonien, am Fuße des Cerro Torre, mit dem vermutlich besten Wetterfenster der Saison vor uns. Aber bevor ich euch auf diese unbeschreibliche Tour mitnehme, berichte ich, wie es überhaupt dazu kam, dass wir uns in diese überdimensionale Eiswand wagen durften.

Wir (Amelie, Franz und ich) sind gute Freunde und bilden eine Dreierseilschaft für unseren großen gemeinsamen Traum, eine Kletterreise nach Patagonien.

Am 1. Jänner 2024 ging es los. Wir starteten in Chile im Cochamó-Tal, einem noch relativ unbekannten Tal mit bis zu 800m hohen Granitwänden mit perfekten Risssystemen, welche das Kletterherz höherschlagen lässt.

Cochamó

Alles musste bis ins Detail für drei Wochen vorausgeplant werden. Es gab nichts, außer ein paar Zeltplätze, die von einem Campingplatz betrieben werden. Kein Internet, keine Verpflegung. Wir kalkulierten Essen und Ausrüstung für drei Wochen in diesem Tal und marschierten gemeinsam mit zwei Pferden, die uns beim Tragen des Gepäcks unterstützten. Sehr genau wurde auch die maximale Packlast von den Pferden gemessen, damit ja kein Pferd zu viel tragen musste.

Gemeinsam mit den Pferden unterwegs in das Cochamó-Tal

Umgeben von massiven Granitwänden waren wir ganz auf uns alleine gestellt. Vom Tal aus, wo wir unser Zelt und all unsere Vorräte stehen hatten, gingen wir hoch zu den Biwaks, wo wir dann jeweils für zwei bis fünf Tage verbrachten. Von dort aus konnte man die meisten Klettertouren binnen weniger Stunden erreichen. In den Biwaks schlossen wir unzählige neue Freundschaften, bei denen wir uns sicher sind, dass sie für ein Leben lang halten werden, auch wenn sie auf der ganzen Erdkugel verteilt sind.

Nach dem Klettern ist vor dem Klettern. Hier im Biwak des Anfiteatro

In der ersten Woche „groovten“ wir uns noch mit etwas leichteren und weniger langen Touren ein. Doch schnell stellte sich heraus, dass auch diese einige Herausforderungen mit sich brachten. Erst nach einigen Touren lernten wir, sauber auf diesen extrem rauen Granitplatten zu stehen, während sich unsere Hände in perfekten Rissen und an kleinsten Leisten wiederfanden. Als wir uns langsam an den besonderen Kletterstil gewöhnt hatten, konnten wir uns dann schon vorsichtig an unsere Traumtouren in diesem Tal herantasten. Und so gelangen uns zum Beispiel die Touren Alcentro Y Adentro, Todo Cambia –  bei der eine gute Freundin von uns an der Erschließung beteiligt war – No Hay Hoyes, E.Z. does it, Mister M und viele weitere tolle Touren.

Amelie in der siebten Seillänge von der Tour „E.Z. does it“

Frey

Nach diesen drei Wochen packten wir unsere Sachen und reisten weiter nach Argentinien, genauer gesagt nach Frey. Frey ist bekannt für die vielen Felstürme und Felsnadeln in einer tollen Landschaft. Die Touren in Frey sind nach unserer Einschätzung sehr alpin, nicht immer leicht abzusichern und im Schwierigkeitsgrad sehr, sehr hart bewertet. Unser Highlight war jedenfalls die Route Imaginate auf den Aguja Campanile. Eine Traumtour mit unwahrscheinlich tollen, abwechslungsreichen Seillängen.

Im Hintergrund die Felsnadel namens Aguja Campanile
Quergangsseillänge, im Hintergrund der Torre Principal

Was uns von Frey auch in Erinnerung bleiben wird, ist die Geschichte mit den getrockneten Pilzen. Eines Morgens verließ uns eine Freundesgruppe, die weiterzog. Zum Abschied ließen sie uns übriggebliebene Lebensmittel hier, darunter ein Säckchen voll getrockneter Pilze, die sie aber auch bereits von Vorgängern erhielten. Gleich am Abend kreierten Amelie, Franz und ich ein neues Gericht namens Polenta Kondor – mit den gesamten Pilzen. Ein paar Stunden später bekamen wir alle starke Bauchschmerzen und mir ging es sogar so schlecht, dass ich kurzzeitig mein Bewusstsein verlor. Also liebe Leserinnen und Leser: „Finger weg von mehrfach weitergereichten getrockneten Pilzen anonymer Herkunft und unbekannten Alters.“

Ein Klassiker in Frey: Die Tour Sudafricana

El Chaltén

Die Zeit verging wie im Flug, doch wir hatten ein weiteres großes Ziel auf unserer Reiseliste: El Chaltén.
Unser Team funktionierte super. Jetzt gab es nur noch etwas, das uns im Wege stehen könnte – das Wetter. Die bisherige Klettersaison in El Chaltén war wettertechnisch sehr schwierig, es gab nur wenige Gutwetterfenster. Doch auch hier war das Glück auf unserer Seite. Als wir El Chaltén am 07. Februar erreichten, hieß es, dass endlich ein 2-3-Tage-Gutwetterfenster anstehe. Nicht lange gezögert, planten wir eine für uns passende Tour auf die Aguja Guillaumet an der Fitz Roy Kette. Wichtig ist in El Chaltén, die Touren gut an das Wetter anzupassen. Empfehlenswert sind dafür vor allem die Apps „Windy“ und „Meteoblue“. Eine Besonderheit Patagoniens ist der unberechenbare Wind, der jedenfalls in die Tourenplanung einfließen muss. Das Wetterfenster nutzten wir dann für die Route Comesana Fanrouge auf die Aguja Guillaumet, eine für uns perfekte erste Tour in El Chaltén. Es wird über die Aufstiegsroute abgeseilt und wenig Wind wurde vorausgesagt.

Julian am Abseilen, bei traumhaftem Sonnenuntergang im Hintergrund. Hier erwartet noch niemand den bevorstehenden Wind.

Als es beim Abseilen dann aber dunkel wurde, nahm der Wind stark zu und produzierte uns einige Schwierigkeiten mit dem Seil. Für uns ein Warnzeichen, noch besser zu planen und zu handeln. Wir erreichten unser Zelt am Fuße des Berges dann um 02:30 Uhr in der Früh wohlauf.

Eine steile Traverse im Eis, welche sich nur schwierig absichern lässt

Zurück in El Chaltén hieß es, es stehe noch ein zweitägiges Wetterfenster bevor. Wir waren so motiviert, dass wir auch dieses wieder nutzen wollten. Voller Euphorie planten wir eine lange Tour über die Route Italiana auf die Aguja Saint- Exupéry. Einen Tag für den Zustieg, einen langen Tag für den Berg und einen Tag mit schlechterem Wetter für den Abstieg ins Tal.

Die 7a Schlüssellänge, ein perfekter Fingerriss

Nach dem längeren Aufstieg zum Biwak am Fuße des Gletschers am Vortag starteten Amelie und ich um 02:30 Uhr. Die Route Italiana bringt eine Wandhöhe von 700m, Steileispassagen bis 60 Grad und Kletterlängen bis zum Schwierigkeitsgrad „französisch“ 7a mit sich. Eine sehr alpine Route, bei der viele Facetten des Alpinismus beherrscht werden müssen. Als wir den schwierigen Bergschrund vom Gletscher aus an die Felswand überwunden hatten, kletterten wir die ersten 250m (ca. fünf Seillängen) am laufenden Seil. Danach mussten wir zum zweiten Mal Schuhe wechseln, diesmal vom Kletterschuh zurück in die Bergschuhe mit Steigeisen. Die Eisflanke in zwei Seillängen überwunden, standen wir nun vor der Schlüssellänge im Fels, dem mit 7a bewerteten Riss. Es lief und wir kamen top voran. Die nächsten 5 Seillängen bis 6c „cruisten“ wir richtig durch. Teils waren die Risse vereist und Kreativität war gefragt. Jetzt kamen noch einige leichtere Längen im Fels und teils auch steilere Passagen im Schnee, bis wir dann um genau 19:30 Uhr am Gipfel der Aguja Saint-Exupéry standen. Was für ein Gefühl, was für eine Leistung! Es war ein langer und harter Weg bis zum Gipfel. Wir waren uns einig, für uns beide war diese Tour eines unserer alpinen Highlights.

Um 19:30 stehen wir am Gipfel der Aguja Saint-Exupéry, was für ein Lebensgefühl

Ein letzter ehrfürchtiger Blick noch auf die gegenüberliegende Bergkette zum Cerro Torre, bis wir uns wieder durch Abseilen auf den Weg retour machten. Sechseinhalb Stunden später, um 01:50 Uhr fanden wir uns dann in aller Dunkelheit auf dem Gletscher wieder und um ca. 04:30 empfing uns Franz bei unserem Biwak mit einer köstlichen warmen Suppe. Bei dieser Tour kamen wir an unsere psychischen und physischen Grenzen. Es braucht Tage, solche intensiven Erlebnisse wie solch eine Tour, zu verarbeiten. Doch genau das ist das Schöne daran. Vor allem wenn man so eine Tour „im Sack hat“.

Ein letzter Blick noch auf den gegenüberliegenden Cerro Torre

Am nächsten Morgen wanderten wir wieder zurück nach El Chaltén mit dem Gedanken, dass es eine tolle Zeit hier war, sich aber wahrscheinlich keine weitere Tour ausgehen würde, bevor wir diesen wunderschönen Ort wieder verlassen müssen. Aber, es kam anders, als wir dachten…

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