Erst durch die Reduzierung unserer eigenen Geräuschkulisse werden wir wieder jene der Natur hören lernen. 2019 wurde ich durch einen Facebook-Eintrag des bekannten amerikanischen Kletterers, Alpinisten und Dokumentarfilmers Jimmy Chin auf die aus den USA stammende NGO „Quiet Parks International“ (QPI) aufmerksam. Ihr Tätigkeitsfeld: „Orte der Stille“ auf der ganzen Welt festlegen und sichern. Ich war sofort fasziniert von dem Gedanken, auch bei uns solche Orte zu definieren und dachte mir, dass wir eigentlich reich an einsamen Tälern sind, in denen kein menschengemachter Lärm wahrzunehmen ist.
Ganz so leicht war es dann doch nicht. Durch den Überreiz an künstlichen Lärmquellen unserer technologisierten Welt habe ich mich dabei ertappt, gewisse Geräusche gar nicht mehr wahrzunehmen. Dazu gehören Alltagsgeräusche, die von technischen Geräten ausgehen gleichermaßen wie Geräusche von landwirtschaftlichen Maschinen oder Flugzeugen. Weitere „Geräuschquellen“ gibt es auch in der Natur: Einen Bach zum Beispiel, der alles andere im Tal übertönt. Als begeisterter Wanderer oder begeisterte Wanderin ist man immer wieder erstaunt, was für einen Lärm ein kleines Rinnsal erzeugen kann und der Talkegel dann wie ein Megafon wirkt.
WAS HÖREN WIR EIGENTLICH, WENN ES STILL IST?
Jugendliche sind in ihrer heutigen Entwicklung ständig der technischen Geräuschkulisse von Handys, Computern oder Fernsehern ausgesetzt. Gerade dieser „Lärm“ schadet nicht nur dauerhaft unserer Entwicklung, sondern auch unserer nachhaltigen Beziehung mit der uns umgebenden Natur. Wenn wir in der Natur sind, erfreuen wir uns am Anblick einer Blumenwiese, am Geruch einer Rose und am Gesang der Vögel. Die Summe dieser Wahrnehmungen unserer Sinnesorgane entscheidet darüber, wie gesund wir mit Körper und Geist durchs Leben gehen. Was hören wir eigentlich, wenn wir sagen: „Es ist still“? Indem wir üben, uns bewusst auf die leisen Töne unserer Umgebung einzulassen, stärken wir unsere Beziehung zur Natur und zu einer nachhaltigen Lebensweise. Dafür braucht es ruhige Orte. Solche sind zu einer seltenen Ressource geworden, deren Wert uns erst durch ihre Knappheit bewusst wird.
QUIET PARKS ÖSTERREICHS UND DAS LANDESJUGENDTEAM KÄRNTEN
Mit Hendrik hatte mein Bruder Rainhard (Landesjugendteam Kärnten) sofort den einzigen “Vertreter“ von QPI in Österreich ausfindig gemacht. Wir kamen schnell zum Entschluss, nicht lange drum herumzureden, wie wir in Österreich Orte der Stille auf politischem Wege definieren könnten, sondern diese Orte einfach aktiv aufzusuchen. Über unser Landesjugendteam wollten wir versuchen, das Format direkt Jugendlichen näherzubringen. Nach etwas Recherche entschieden wir uns, eines der südlichsten Täler Kärntens zu erwandern: den Hainschgraben. Die einsamen Täler an der kärntnerisch-slowenischen Grenze sind stark durch ihre ursprüngliche Wildheit geprägt und eignen sich hervorragend, um dem menschengemachten Lärm zu entfliehen. Ausgelegt auf zwei Tage und eine Nacht unterm Sternenhimmel, konnten Hendrik, Rainhard und ich fünf Jugendliche für die Geräusche der Natur begeistern und das Thema Stille begreiflicher machen.
Mit spielerischen Hörübungen schärften wir unsere Sinne und näherten uns der Thematik an. Nach einer kurzen Einführung in die Bedienung tragbarer Audiorecorder nahmen wir vor Ort Tonspuren auf, die anschließend im Internet gespeichert und wiederverwertet werden sollten. Zum Beispiel in Form eines Klangtagebuchs oder einer Klangkarte. Die verstärkte Wiedergabe der natürlichen Klangkulisse vor Ort sollte in dieser Hinsicht nicht nur das Gesehene, sondern das unbewusst Wahrgenommene erlebbarer machen. Wir erlebten nicht nur Jugendliche, die ihre Gefühle für natürliche Geräusche und somit auch natürliche Stille innerhalb kürzester Zeit schärften, sondern ertappten uns dabei, uns selbst begeistert mit dem Thema auseinanderzusetzen. Uns wurde klar, wie weit wir uns von unseren eigenen Ursprüngen entfernt haben und wie leicht es wiederum ist, der Lärmbelästigung im realen Sinne zu entfliehen. So konnten wir ein Bewusstsein für die Erhaltung einer nachhaltigen, natürlichen Stille entwickeln.
ZIEL & UMSETZUNG DER QUIET WALKS
Ziel der Quiet Walks ist es, Jugendliche zu befähigen, eigene Soundsessions abzuhalten und Orte der Ruhe zu definieren. In unserem Fall sollte Kärnten speziell in Zeiten von COVID-19 als einzigartiges Ökosystem wahrgenommen werden. Eine landesweite Karte mit verschiedenen Orten der Stille soll im Zuge der Tätigkeiten erarbeitet und in weiterer Folge QPI übergeben werden. Diese kann als Grundlage für die Nominierung von Quiet Trails dienen.
PRAKTISCHE TIPPS ZUR UMSETZUNG VON „QUIET WALKS“
Quiet Walks mit möglichst einfachen technischen Hilfsmitteln organisieren:
- billigste Variante: Voice Recording- App aufs Handy, Kopfhörer anschließen und ab in die Natur
- mit Lautstärke-Apps bekommt ihr ein gutes Gefühl, wie leise oder laut die „Stille“draußen wirklich ist, z.B. Sound Meter oder Schallpegelmesser
- wenn Geld vorhanden ist: billige Audiorecorder (z.B. von Tascam oder Olympus) kosten zwischen 50 und 100 Euro und sind auch auf willhaben (nachhaltiger!) günstig zu erwerben
Tipps zur Umsetzung für Jugendleiter*innen:
- einsame Seitentäler liegen oft näher als man denkt
- Wälder sind gebirgigen Hochebenen vorzuziehen, da diese störende Geräuschkulissen „schlucken“
- Von Bächen entfernen, da diese sehr laut und damit störend sein können
- Startet mal mit einer Nacht in das Abenteuer, da die Suche nach Stille auch sehr intensiv sein kann
- Der Morgen (ab Dämmerung) und die Abendstunden sind die Geräuschopern in der Natur, da hier besonders
viele Tiere aktiv sind - Auch untertags schafft man es, viele Töne wahrzunehmen, wenn man genau hinhört
- Achtung, warm anziehen! In den Übergangszeiten des Tages kann es oft kalt werden
KURZFILM ZU DEN QUIET WALKS HIER ANSCHAUEN:
Im Rahmen der Quiet Walks ist ein sehr schöner Kurzfilm entstanden. Über unten stehenden Link könnt ihr diesen anschauen:
Leopold Fuchs ist selbstständiger Kameramann und Regisseur und schon seit Jahren in der Sektion Klagenfurt ehrenamtlich engagiert.
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