Aus DREI D 02-2020
Im Windschatten der alten Eisenwege hat sich ein Boom entwickelt, der Alt und Jung in die Vertikale zieht. Über Sinn, Unsinn, Freud und Reiz des Begehens von Klettersteigen…
VIA FERRATA
Der erste dokumentierte Klettersteig in den Ostalpen befindet sich am Dachstein. Die gewaltige Naturlandschaft des Dachsteingletschers zog den Geografen Friedrich Simony in seinen Bann. Der beschwerliche Zustieg auf den Hohen Dachstein war aber alles andere als ein Vergnügen, weshalb er sich um Spenden für die Erschließung des markanten Gipfels bemühte und sein Werk 1843 fertigstellen konnte. Als Sicherungsseile dienten üppige Schiffstaue. Dazu wurden Eisenzapfen in den Fels getrieben, die als Griffe und Tritte dienten. Noch heute besteht dieser Klettersteig mit dem klingenden Namen „Randkluft“. Die Schiffstaue wurden später durch moderne Stahlseile ersetzt und die Eisenstifte wichen angenehmeren Eisenbügeln, um die Verletzungsgefahr zu reduzieren.
Über die Jahre wurde das gesamte Dachsteingebiet mit Klettersteigen erschlossen. Heute zählen wir 22 Klettersteige am und rund um den Dachstein. Dabei reicht die Palette von anspruchsvollen alpinen Klettersteigen über kürzere, aber anstrengende Sportklettersteige bis hin zu Klettersteigen für Kinder und Jugendliche. Der touristische Wert von Klettersteigen stieg während der letzten 30 Jahre kontinuierlich an. Kaum eine touristische Gebirgsregion will heute auf diese Attraktion verzichten. Es werden nach wie vor neue Klettersteige errichtet, wenngleich sich alpine Vereine wie der Alpenverein gegen die Errichtung neuer Steiganlagen aussprechen.
DER KLETTERSTEIG – BOOM
Etwa Mitte der 80er-Jahre entwickelte sich ein regelrechter Boom zum Klettersteiggehen. Klettersteige bieten die Möglichkeit, mit einem sehr geringen Risiko senkrechte und alpine Gebirgswelten zu begehen. Auch bedarf es einem verhältnismäßig geringen Materialaufwand und Know-how, um Klettersteige zu begehen. Sogar Reinhold Messner musste vor einigen Jahren zugeben: „Ich bin so vielen glücklichen Menschen auf Klettersteigen begegnet, dass ich dafür sein muss!“
KLETTERSTEIG – THE DARK SIDE
Der RUN auf die Klettersteige hat aber nicht nur positive Seiten. Durch die hohen Begehungszahlen kommt es immer häufiger vor, dass die Bergrettung überforderte Bergsportler*innen aus der Wand holen muss. Vor allem das „Blockieren“, also die physische und/oder psychische Erschöpfung bis es kein Vor oder Zurück mehr gibt, kommt häufig vor. Dabei wäre es verhältnismäßig einfach, diesen Unfällen, die meist einen guten Ausgang nehmen, entgegenzuwirken. Eine gesunde Selbsteinschätzung, das langsame Herantasten zu schwierigeren Steigen und eine gewissenhafte Tourenplanung schützt vor Überforderung und kann bei Ausbildungskursen oder auch im privaten Umfeld nicht oft genug erwähnt werden.
Eine interessante Entwicklung, die man auch bei anderen alpinen Disziplinen beobachtet, ist die, dass die absoluten Unfallzahlen – im Vergleich zu den stetig wachsenden Begehungszahlen – konstant bleiben. Bessere Ausrüstung, vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten sowie bessere Informationen zu Wetter, Bedingungen und Zustand der Steiganlage wirken sich positiv auf die Unfallbilanz aus.
DIE KLETTERSTEIGAUSRÜSTUNG
Vor allem die Neukonzipierung der Klettersteigsets hat maßgeblich zur Senkung des Risikos beigetragen. Während man früher bestenfalls mit Seilbremsen ausgerüstete Klettersteigsets oder selbst gebastelte Varianten mit Bandschlingen oder Reepschnüren verwendete, findet man heute ausschließlich Klettersteigsets mit Bandfalldämpfer.
Moderne Klettersteigsets haben eine Reihe von Vorteilen:
- Die Belastung auf den Körper darf 6 kN nicht übersteigen. Für leichte Personen oder Kinder ist der maximale Fangstoß mit 3,5 kN begrenzt.
- Der maximale Bremsweg ist mit maximal 220 Zentimetern begrenzt, wenn der Bandfalldämpfer komplett aufreißt.
- Der Bandfalldämpfer funktioniert unabhängig von Temperatur und Nässe.
Unabhängig von Zustand oder Gebrauch sollten Klettersteigsets spätestens nach zehn Jahren ausgetauscht werden. Bei starker Beanspruchung, offensichtlichen Scheuerstellen, beim Kontakt des Sets mit Batteriesäure oder Dämpfen (Rosafärbung des Textilmaterials) und wenn das Siegel des Bandfalldämpfers aufgerissen ist, müssen Klettersteigsets sofort ausgetauscht werden! Das Gleiche gilt übrigens auch für den Klettergurt. Auch Helme haben ein Ablaufdatum! Die meisten Helme sind nach fünf Jahren zu tauschen. Ein Blick in die Gebrauchsanweisung liefert genaue Informationen.
KLETTERSTEIG – GET STARTED
Wie startet man seine Karriere als Klettersteiggeher*in? Wie bereits erwähnt, braucht es zuerst die richtige Ausrüstung. Folgende Gegenstände sind immer dabei:
- Steinschlaghelm
- Passender Kletter-Hüftgurt
- Aktuelles Klettersteigset
- Klettersteighandschuhe oder griffige Arbeitshandschuhe aus dem Baumarkt
- Zustiegsschuhe
Ergänzend zu diesen Gegenständen sollte man außerdem einen kleinen Rucksack mit Wechselbekleidung, Erste Hilfe-Paket, genügend Essen und Trinken sowie Sonnenschutz und warme Bekleidung inklusive Regenschutz mit dabeihaben. Ein Mobiltelefon für das Absetzen eines Notrufs ist ebenfalls wichtig, falls doch mal etwas schiefgeht.
Idealerweise macht man seine ersten Touren mit einem/r Partner*in, der/die sich schon ein wenig auskennt und wertvolle Tipps geben kann. Für den Anfang sind Steige im Grad A und B ideal. Sie sollten auch nicht zu lange sein und der Zu- und Abstieg sollte überschaubar sein. Nach zwei oder drei Klettersteigen hat man schon ein Gefühl über die eigene Fitness und auch über den Schwierigkeitsgrad. Dann sind dem Klettersteigvergnügen keine Grenzen mehr gesetzt und wer weiß, vielleicht lauft ihr auf dem ein oder anderen Steig sogar dem Reinhold Messner über den Weg!
KLETTERSTEIG – DER GRAD E
Regelmäßig hört man von Klettersteigen, die einzelne Stellen im Grad F aufweisen. Auf Gran Canaria hat man den Gipfel des Unsinnigen tatsächlich erklommen und den Grad G für ein 15 Meter langes waagrechtes Dach ausgerufen!
Die Meinung der alpinen Vereine ist klar. Klettersteige sollen eine spannende Aktivität für Jugendliche und Erwachsene sein. Kinder können Klettersteige natürlich begehen. Den begleitenden Erwachsenen muss aber klar sein, dass Klettersteigsets erst ab 40 Kilogramm Körpergewicht funktionieren. Das bedeutet, dass die Steige also sehr einfach gewählt werden müssen, um Stürze auszuschließen oder man die Kids mit einem Seil mitsichert. Gutes seiltechnisches Know-how und hohes Eigenkönnen sind dabei Vorraussetzung!
Das Klettersteigset ist eine absolute Notfallausrüstung und schützt nur vor dem Totalabsturz. Der Sturz in ein Klettersteigset ist immer mit Verletzungen verbunden. Dementsprechend sollte man sich auch in einem Gelände bewegen, bei dem man nicht Gefahr läuft, zu stürzen. Wenn man tatsächlich so fit ist, dass man Klettersteige im GRAD E, F oder sogar G in Betracht zieht, dann sollte man sich ernsthaft überlegen, zum Sportklettern zu wechseln. Dort sind Stürze erlaubt, sogar ein wesentlicher Teil des Sports.
HOW TO KLETTERSTEIG – SicherAmBerg Videos
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Thomas Wanner ist ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer und Mitarbeiter in der Abteilung Bergsport für die Bereiche Ausbildung und Sicherheit.
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