In der norwegischen Sprache gibt es mehr als 100 Wörter, die eine bestimmte Art bzw. einen bestimmten Zustand von Schnee beschreiben. Im Deutschen sind es zwar nicht ganz so viele – gut, wir haben auch nicht so viel Schnee wie die Norweger – aber in Summe kommen wir vermutlich auch auf ein Dutzend. Allein das zeigt, wie komplex die Materie Schnee ist und in welcher Vielfalt ihr wir Winter für Winter auf Skitour oder beim Freeriden begegnen.

Sich mit Schnee in all seinen Facetten auseinanderzusetzen, macht für uns Freizeitsportler nun aus mehrerlei Hinsicht Sinn: Zum einen wollen wir selbstverständlich nicht von ihm in Form einer Lawine begraben werden und zum anderen wollen wir Schnee in einem möglichst perfekten Zustand zum Skifahren und Snowboarden – idealerweise als ungebundenen, lockeren „Pulver“ (und nicht als „Plattenpulver“) – vorfinden.

Freilich können und müssen wir nicht alle komplexen Vorgänge, die in der Schneedecke laufend passieren, wissen, um uns risikobewusst im Gelände zu bewegen. Damit wir letztendlich alle vom Gleichen sprechen und praxisorientierte Lawinenkunde betreiben können, reicht es, wenn wir uns mit den zwei wichtigsten Schneearten mehr oder weniger intensiv auseinandersetzen und – im Sinne eines Prozessdenkens – tiefergreifende Zusammenhänge verstehen. Gute Dienste leisten uns dabei die – auch auf europäischer Ebene (EAWS – European Avalanche Warning Services) vereinheitlichten – fünf Lawinenprobleme mit ihrer bestens aufbereiteten Lernstruktur.

Saisonbericht der Österreichischen Lawinenwarndiesnte von 2010 bis 2018
Saisonbericht der Österreichischen Lawinenwarndiesnte

Triebschnee

Was ist Triebschnee?

„Wind ist der Baumeister von Schneebrettlawinen!“ Deshalb ist es für uns besonders wichtig, windverfrachteten Schnee – sogenannten Triebschnee – zu erkennen.

Obwohl Triebschnee trotz der Verfrachtung weich ist und sich noch bestens zum Skifahren eignet, sind seine Schneekristalle – im Gegensatz zum lockeren Pulverschnee – gut miteinander verbunden („Schneebrett“).
Die aufgrund von Triebschnee zu erwartende „trockene Schneebrettlawine“ ist für uns Wintersportler*innen die bedrohlichste Lawinenart. Charakteristisch für eine Schneebrettlawine sind der linienförmige, kantige und quer zum Hang verlaufende Anriss sowie die mehr oder weniger große Gleitfläche, auf der sie abrutscht.

Damit eine Schneebrettlawine abgehen kann, braucht es aber neben dem Schneebrett noch weitere Zutaten:
Dabei ist das Gelände ein wesentlicher Parameter. Erst ab einer kritischen Hangneigung von 30 Grad – wir sprechen im Lawinenlagebericht von „steilen Hängen*“ – ist das Abgleiten einer Lawine physikalisch überhaupt möglich. Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit eine Lawine auszulösen mit zunehmender Hangsteilheit zu.

Das heißt im Klartext und unabhängig jeglicher Strategie: Je steiler, desto ungünstiger! Dies belegt auch die Unfallstatistik der letzten zehn Jahre, welche besagt, dass 50 Prozent aller tödlichen Lawinenereignisse in Österreich ihren Anriss über 40 Grad und 42 Prozent über 35 Grad Hangsteilheit haben.

Entscheidender Parameter für Lawinen ist die kritische Hangneigung von 30 Grad, ab der die Reibungskräfte überwunden werden können.
Entscheidender Parameter für Lawinen ist die kritische Hangneigung von 30 Grad, ab der die Reibungskräfte überwunden werden können.

Die Schwachschicht befindet sich meist unterhalb des Schneebretts am Übergang zur alten Schneedecke.

Sie hat – vergleichbar mit einem Kartenhaus – eine sehr schwache und weiche Struktur und besteht häufig aus groben, kantigen Kristallen. Für die Bildung solcher Kornformen ist die sogenannte aufbauende Schneeumwandlung verantwortlich. Dabei werden die Schneekristalle aufgrund des Temperaturgradienten – darunter versteht man den Temperaturunterschied innerhalb der Schneedecke bzw. zwischen Außenluft und Boden – immer größer.

Je größer der Temperaturunterschied und je geringmächtiger die Schneedecke ist, desto schneller finden aufbauende Umwandlungsprozesse statt. Hohlräume entstehen, die Bindung zwischen den Kristallen wird weniger und der Festigkeitsverlust größer. Aus kantigen Kristallen können in weiterer Folge hohle Becherkristalle entstehen.

Die Ansammlung dieser Becherkristalle wird Tiefenreif oder auch Schwimmschnee genannt. Eine weitere, sehr kritische Schwachschicht kann Oberflächenreif darstellen: Dieser entsteht durch Sublimation – also dem Übergang vom gasförmigen in den festen Zustand – feuchter Luft an der kalten Schneeoberfläche. Oberflächenreif entsteht häufig in schattseitigen, windberuhigten Bereichen während längerer Kälteperioden.

Auslösung einer Schneebrettlawine

Ist nun eine ausgeprägte Schwachschicht mit einem Schneebrett überlagert, braucht es zur Auslösung einer Schneebrettlawine nur noch die entsprechende Zusatzbelastung. Dafür kann das Gewicht des Schnees selbst ausreichen und die Lawine geht „spontan*“ ab. Fast immer werden Schneebrettlawinen, in denen Wintersportler umkommen, allerdings von ihnen selbst ausgelöst. Dafür ist entweder „eine geringe Zusatzbelastung*“ durch einen Skifahrer oder „eine große Zusatzbelastung*“ durch mehrere Skifahrer, durch einen Fußgänger oder die Belastung durch einen Sturz notwendig, um eine Lawine auszulösen. Skifahrer können eine Schwachschicht bis ca. 80 – 100 cm Schneeüberdeckung stören. (*in der europäischen Lawinengefahrenskala definiert.)

Kommt es infolge einer Zusatzbelastung zum Bruch der Schwachschicht sprechen wir von Initialbruch. Ist die Schwachschicht nun flächig verteilt und die Energie groß genug, um die benachbarte Bindung zwischen den Kristallen der Schwachschicht zu brechen, breitet sich der Initialbruch rasend schnell aus und es kommt zur Bruchfortpflanzung, häufig verbunden mit einem gut hörbaren „WUMM“-Geräusch. Nach dem großflächigen Bruch der Schwachschicht entscheidet nun die Haftreibung zwischen den Bruchflächen – wir sprechen von basaler Scherfestigkeit -, ob es zu einem Lawinenabgang kommt oder nicht. Entscheidender Parameter dafür ist die erwähnte kritische Hangneigung von 30 Grad, ab der die Reibungskräfte überwunden werden können.

Besonders gefährlich sind Schneebretter auch deshalb, weil wir nicht beeinflussen können, wo die Schneebrettlawine abbricht. Im Gegensatz zur Lockerschneelawine, die immer unterhalb der Belastung punktförmig abgeht, kommt der Zugbruch beim Schneebrett an der schwächsten Stelle. Ist die Schwachschicht sehr labil und großflächig verteilt, können Schneebrettlawinen auch im flachen Gelände (<30°) „fernausgelöst“ werden. Der Anriss ist dabei wieder im steilen Gelände und weit über dem Schneesportler. Somit befindet man sich im Moment des Abgangs bereits mitten in der Lawine. Zudem nimmt die Schneebrettlawine rasend schnell Fahrt auf und erreicht in wenigen Sekunden eine Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h, was eine Flucht aus der Lawine zusätzlich sehr schwierig macht.

Wo? Entsprechend starker Wind transportiert Schnee von der windzugewandten Seite, dem Luv, in die windabgewandte Seite, dem Lee, wo er als Triebschnee zu liegen kommt. Er ist sehr unregelmäßig verteilt, häufig leicht zu stören und vor allem in Kammnähe auf der Leeseite, hinter Geländeübergängen und in Rinnen und Mulden aller Expositionen zu finden.

Wann? In den Bergen ist fast immer mit Wind zu rechnen, deshalb entstehen die größten Triebschneeansammlungen während oder kurz nach einer Schneefallperiode. Da frischer Triebschnee bei seiner Entstehung oft schlecht mit der Altschneedecke verbunden ist, dauert es in der Regel einige Tage, bis dieser sich mit dem Altschnee verbindet.

Frischer Triebschnee ist weich, aber gebunden, unregelmäßig verteilt, schlecht mit der Altschneedecke verbunden und besonders störanfällig.
Frischer Triebschnee ist weich, aber gebunden, unregelmäßig verteilt, schlecht mit der Altschneedecke verbunden und besonders störanfällig.

Wie gehe ich damit um? Triebschnee ist in der Regel im Gelände gut zu erkennen, außer, er ist mit Neuschnee überdeckt (Lagebericht checken!). Typische Hinweise für Triebschnee sind Windzeichen, eine matt-weiße, fahle und nicht glitzernde Oberfläche sowie Rissbildungen in der Schneedecke, WUMM-Geräusche und frische Lawinen. Im steilen Gelände (>30°) gilt es, Triebschneeansammlungen zu vermeiden. Dabei können wir entweder dem Hang ausweichen, eine Alternative wählen oder die Tour abbrechen. Besonderes Augenmerk muss auch an den Übergängen von wenig zu viel Schnee liegen: Da wir uns in diesen Bereichen näher an der Schwachschicht befinden und zudem in diesen Bereichen die Zugfestigkeit der Schneedecke geringer ist, können hier Schneebrettlawinen viel leichter ausgelöst werden.

Schneebrettlawine
Zutaten einer Schneebrettlawine:
•Steilheit: Hangneigung > 30°
•Schneebrett: Triebschnee
•Schwachschicht: Homogen und flächig verteilt
•Zusatzbelastung: einzelner oder mehrere Skifahrer

 

Altschnee

Was?

Voraussetzung für dieses Lawinenproblem ist die Existenz einer oder mehrerer, ausgeprägter Schwachschichten innerhalb der Altschneedecke, die auch tief in der Schneedecke noch störanfällig sind.

Typische Schwachschichten sind wieder kantige Kristalle, der bereits bekannte, eingeschneite Oberflächenreif und/ oder Tiefenreif. Diese Schwachschichten sind auch von erfahrenen Tourengeherinnen und Tourengehern nur sehr schwer bis gar nicht zu erkennen und bleiben oft den ganzen Winter über bestehen. Deshalb sind Jahre mit ungünstigem, schwachem Schneedecken-Aufbau – meist sind dies kalte, schneearme Winter – besonders unfallträchtig:

Kamen in der schneearmen und vom schwer zu erkennenden Altschnee dominierten, vorletzten Saison (2016/17) 25 Menschen ums Leben, so herrschte im letztjährigen schneereichen Winter (2017/18), bei dem ein Drittel weniger Menschen verunglückten, das besser einschätzbare Triebschneeproblem vor. Vergleicht man die beiden Jahre, wird klar, wie unterschiedlich die jeweiligen Verhältnisse waren und welchen Einfluss das Altschneeproblem auf tödliche Lawinenereignisse hat.

Lawinen, die bis in die Altschneedecke durchbrechen sind zwar oft schwerer auslösbar, da 1.) die Schwachschicht sehr tief in der Altschneedecke liegen kann und für deren Störung eine „große Zusatzbelastung*“ notwendig ist und 2.) die Gefahrenstellen seltener sind. Ist allerdings bereits ein Bruch erfolgt, kann er sich über große Distanzen ausbreiten und sogar Fernauslösungen sind möglich. Wenn Lawinen dann abgehen, können diese gefährlich groß werden.

Wo? Ausgeprägte Schwachschichten in der Altschneedecke können kleinräumig verteilt sein, meist sind sie aber in einer bestimmten Exposition und einem bestimmten Höhenband großflächig vorhanden. Man findet sie – wiederum der aufbauenden Umwandlung geschuldet – vorwiegend in schattigen und windgeschützten Hängen mit unterdurchschnittlicher Schneehöhe, sowie in sehr selten befahrenem Gelände. Lawinen werden – wie beim Triebschneeproblem auch – bevorzugt an den Übergängen von wenig zu viel Schnee ausgelöst. Begünstigt vom Altschneeproblem sind hingegen bekannte und häufig befahrene Freeride-Varianten.

Wann? Sind wir im Frühwinter mit einem Altschneeproblem konfrontiert, haben wir – besonders in schneearmen Wintern – leider oft die ganze Saison damit zu kämpfen.

Frische Lawinen, die bis in tiefe Schichten durchbrechen, sind ein deutliches Gefahrenanzeichen für ein vorhandenes Altschneeproblem.
Frische Lawinen, die bis in tiefe Schichten durchbrechen, sind ein deutliches Gefahrenanzeichen für ein vorhandenes Altschneeproblem.

Wie gehe ich damit um? Da wir ein Altschneeproblem im Gelände nur sehr schwer erkennen können, begegnen wir ihm am besten bereits mit einer defensiven Planung, indem wir die im Lawinenlagebericht ausgewiesenen Gefahrenstellen (Exposition und Höhenlage) konsequent meiden. Der Lagebericht sowie Schneeprofile aus der amtlichen Internet-Plattform lawis.at (erstellt in Zusammenarbeit mit den Lawinenwarndiensten Österreichs) sind für uns hinsichtlich des Altschneeproblems die Informationsquelle Nummer Eins.

Im Gelände ist ebenfalls – und trotz einer etwaigen Gefahrenstufe „2“ (bei „3“ sowieso) – große Zurückhaltung geboten. Um große Zusatzbelastungen zu vermeiden und das Schadensausmaß zu minimieren, sind die Standardmaßnahmen „Abstände einhalten und einzeln fahren“ sowie „Gelände optimal nützen“ und große Hänge vermeiden, besonders wichtig.

Natürlich sind auch die „klassischen“ Gefahrenzeichen „Setzungsgeräusche und –risse“ sowie „frische Lawinen“ aus Check 2 in Stop or Go ebenso Hinweise für schwache Schichten in der Schneedecke wie das Durchbrechen in einen bindungslosen, kantig aufgebauten Altschnee. Fehlen diese Gefahrenzeichen allerdings, hilft – für den/die fortgeschrittene/n TourengeherIn – nur noch ein Blick in die Schneedecke. Mittels Schneedeckentest – hier bietet sich ein ECT an – können Schwachschichten innerhalb des Altschnees eruiert werden.

Wer online gern mehr zum Thema Schnee und Lawinen erfahren möchte ist hier richtig:

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Gerhard Mössmer ist Berg- und Skiführer, Mitarbeiter in der Abteilung Bergsport und zuständig für Lehrschriften und Lehrteam.

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