Was ich von meinem risk´n´fun-Kurs erwartet habe? In Theorie und Praxis zu lernen, Gefahren im alpinen Gelände einzuschätzen und richtig zu reagieren, wenn der Ernstfall – eine Verschüttung – eintreten sollte. Womit ich nicht gerechnet habe? Mitten in solch einer Theorie-Einheit gemeinsam mit der gesamten Gruppe von einer Lawine überrollt zu werden.

Im Februar 2020 absolvierte ich gemeinsam mit zehn anderen Teilnehmer*innen die risk’n’fun-Trainingssession I LEVEL 1 der Alpenvereinsjugend. Im Gepäck hatte ich meine 1,90m-Powder-Latten und mein Mikrofon, da ich einen Radiobeitrag über den Kurs plante.

Präsent und unsichtbar

Die Woche im Salzburger Powder-Mekka nahe Hochkönig startete mit einem Meter frischen Neuschnee. Nach dem morgendlichen Check des Lawinenlageberichts und einem Blick vor die Haustür war klar: Heute bleiben wir defensiv und bewegen uns nur im pistennahen Bereich. Die Gefahr eines Lawinenabgangs ist an solchen Tagen allgegenwärtig und gleichzeitig unsichtbar. Zusätzlich vergisst man im Wettkampf um die besten Lines oft auf Gefahren und Risiko-Checks.

Lockt der Powder, bockt der Verstand.

Wind und Wetter wurden nachmittags zunehmend schlechter; wir beschlossen zurück ins Tal zu fahren. Die abschließende Praxisübung absolvierten wir im Flachen – zwischen einer Almwirtschaft und einem Kinderspielplatz, die von einem Lawinenschutzwall abgeschirmt waren. In der Theorie hatten wir die Verschütteten-Suche bereits besprochen, doch praktisch erwies sich die Bergungsübung im hüfttiefen Schnee schwieriger als erwartet. Bergführer Peter erklärte den Ablauf der Signalsuche und ich gab mir Mühe, im dichten Schneefall eine passable Ton-Aufnahme zu bekommen.

Ohnmacht. Orientierungslosigkeit

Plötzlich: ein dumpfes Grollen. Peter verstummte. Im nächsten Augenblick wurde die Übung zum Ernstfall. „Lawine! Lauft!“

Wenn ich mich heute an den Moment erinnere, empfinde ich immer noch ein Gefühl der Ohnmacht, das viele wohl nur aus Albträumen kennen. Wie verwurzelt stand ich in der tief verschneiten Landschaft, während eine riesige weiße Staubwolke auf uns zuraste. Puls 210. Ich fand meine Beine wieder und versuchte, so gut es ging, davonzulaufen, vergeblich. Bereits nach zwei Schritten überrollte mich die Druckwelle. Auf der Aufnahme – die ja noch lief – ist ein ohrenbetäubender Impuls zu hören. So, als ob die Membran des Mikrofons zerbirst. Danach herrscht absolute Stille.

Nach einigen Sekunden der Orientierungslosigkeit setzte der Überlebensmodus ein. Ich konnte mich mit den Armen befreien. Einige der anderen Kurs-Teilnehmenden waren ebenfalls nur teilweise verschüttet und konnten schnell ausgegraben werden. Dann startete der Wettkampf gegen die Zeit. Ein Zipfel eines Rucksacks und ein Handschuh, die aus dem Lawinenkegel ragten, gaben uns Hinweise auf zwei weitere verschüttete Kamarad*innen. Die letzte fehlende Person konnten wir dank LVS-Gerät rasch orten und bergen.

Wir alle hatten im Ernstfall schnell und richtig reagiert. Innerhalb von knapp zwei Minuten waren alle freigeschaufelt. Ohne die gründliche Vorbereitung und Schulung durch unseren Bergführer hätten wir das so nicht geschafft. An dieser Stelle: danke dafür!

Das Gefühl der Erleichterung kam erst, als wir in Sicherheit beim ersten „Überlebensbier“ zusammensaßen. Der spätere Bericht des Lawinenwarndienstes Salzburg bestätigte die furchteinflößende Dimension des Geschehenen: Die trockene Schneebrettlawine, die uns vor wenigen Stunden überrollt hatte, hatte eine Länge von einem Kilometer, 100 MeterBreite und 50 Zentimeter Anriss. Sie drang ungewöhnlich schnell und weit ins Flache vor. Nur durch unglaubliches Glück und unsere Position hinter dem Lawinenschutzwall konnten wir diesem Monstrum überhaupt entkommen.

Gemeinsames Aufarbeiten der Lawine

Der nächste Tag weckte uns mit strahlend blauem Himmel und besten Powderbedingungen. Es gab nur ein Problem: Unsere Ski und Snowboards waren unter der Lawine begraben. Nachdem die Lawinenkommission die (Un-)Glücksstelle freigegeben hatte, lautete unser Tagesprogramm: sondieren und schaufeln.

So arbeiteten wir uns Meter für Meter durch den Lawinenkegel und jubelten bei jedem gefundenen Ski, Rucksack oder Stock. Der Unglücksort verwandelte sich in einen Ort der Freude. Gemeinsam konnten wir die Lawine wortwörtlich aufarbeiten. Beinahe die gesamte Ausrüstung fand ihre Besitzer*innen wieder, nur ein Paar Ski und ein Skistock wollten erst im Frühjahr geborgen werden.

Direkt im Anschluss an die Suche verbrachten wir den Nachmittag auf der Piste. Gemeinsam als Gruppe stellten wir die Freude am Sport wieder in den Vordergrund und erkämpften uns unser Selbstvertrauen zurück.

Im abendlichen Gespräch mit dem erfahrenen Ski- und Bergführer Michele Gallonetto vom risk´n´fun-Leitungsteam, der uns als psychologischer Mentor zur Seite stand, erkannten wir, wie unterschiedlich wir den Vorfall verarbeiteten. Während einige schon wieder in ihrem Normalzustand angekommen waren, fühlte ich mich noch immer unwohl. Das Gefühl des Verschüttetseins, diese Machtlosigkeit gegenüber der Naturgewalt, brodelte in mir. Seitens des Alpenvereins gab es für uns auch ein Angebot zur Krisenintervention und Nachbetreuung des Erlebten.

Über die richtige Abzweigung

Heute habe ich das Erlebte gut verdaut. Das risk’n’fun-Credo „wahrnehmen – beurteilen – entscheiden“ ist mein stetiger Begleiter am Berg. Die Analyse der Lawinensituation vor jedem Skitag ist zu einem Ritual geworden. Die härtesten und gleichzeitig wichtigsten Entscheidungen seither waren immer die Nein-Entscheidungen – also jene gegen eine Abfahrt oder eine Tour.

Es gibt für jeden Tag die richtige Route, einmal über die Piste, einmal über die Variante und einmal direkt in die erste Hütte. Die Kunst ist es, am richtigen Tag die richtige Abzweigung zu wählen. Dennoch bleibt beim Freeriden immer ein gewisses Restrisiko. Feedback kommt erst dann, wenn etwas passiert. Dafür sollte man im Worst Case ausgebildet und vorbereitet sein.

Hier geht es zu den Audioaufnahmen und zum Onlinebeitrag von Michael auf FM4: https://fm4.orf.at/stories/3010166/

Alle Infos zu den risk´n´fun FREERIDE Terminen und Angeboten für Sektionen gibt es unter
www.risk-fun.com

TIPP: Blogartikel über „Die psychosoziale Dimension von Notfällen im Alpin- und Outdoorbereich

Wenn am Berg, im Tal oder bei einem Naturereignis doch einmal etwas passiert, stehen dir als Funktionär*in Angebote und Hilfestellungen zur Verfügung. HIER geht’s zum Blogartikel.

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Michael Troll ist Sound Engineer, Video Editor und Redakteur bei Radio FM4.

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